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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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insbesondere politische Opposition – seitens der Gewerkschaften kann nur dann zugelassen werden, wenn es der herrschenden Klasse offensichtlich nur um den eigenen Vorteil geht und nicht um die Entwicklung einer fortschrittlichen Wirtschaft«, sagte Mweta und beschränkte sich darauf, genau zu sein. »Wenn es bloß ein Versuch ist, die Regierung unglaubwürdig zu machen, dann bleibt ihr nichts anderes übrig, als diese Leute zu brechen, ja? – auch Gewalt anzuwenden, wahrscheinlich.«
    »Ich frage mich, was du eigentlich dabei gewonnen hast.«
    Aber beide nahmen dieser Bemerkung die Schärfe durch eine Art der Nostalgie, bedauernd, im Verständnis füreinander; was geschehen ist, ist geschehen.
    Seit er an jenem Morgen im grellen Licht des Parkplatzes seine Mission erfüllt hatte – »mein alter Freund Semstu« –, war er sich bewußt gewesen, daß er an diesem Abend dafür würde Rechenschaft ablegen müssen: hier. Warum? – der Zweck dieser Missionwar ja nun irrelevant. Und unter demselben Vorzeichen brauchte Mweta ihm gegenüber nicht zuzugeben, daß er dem Bergbaukonzern erlaubt hatte, eine Privatarmee aufzustellen. Der Abend schritt voran. Jeder hatte etwas ungesagt gelassen. Und doch redeten sie viel. Mweta war darauf erpicht, über ein paar Fehler zu diskutieren, die er eingestand, über Schwierigkeiten, ein paar Zweifel – besonders in Hinblick auf Mitglieder seines Kabinetts. Die Offenheit war Ersatz für einen Mangel an Offenheit. Es war vielleicht kein kalkulierter Versuch, Bray auf Mwetas Seite zu ziehen – ein unbewußter Appell (an Loyalität? Sympathie?), der Bray aber keinen Zentimeter entgegenkam. Auch die Frage, ob Bray weiterhin im Lande bleiben würde, wurde nicht angeschnitten; Mweta bemerkte bloß, er nehme an, daß die Arbeit in Gala vor ihrem Abschluß stehen müsse? Er fragte nicht, weshalb Olivia nicht gekommen war. Und wenn er es getan hätte? – welche Antwort, welche hastig angebotene und ebenso hastig hingenommene Lüge?
     
    Der Kongreß blieb bei allem und jedem, worüber er diskutierte, ruhelos gespalten. Der Rest an Ordnung war bei sämtlichen Sitzungen gefährdet. Shinza blickte über das Auditorium hinweg, verachtungsvoll ungepflegt und ungekämmt. Mehr und mehr glich er einem Fremden, der plötzlich aus der Wildnis auftaucht und zum Unbehagen anderer Männer einen Stuhl beansprucht. Selbst seine Anhänger schienen sich lieber über Goma und den fröhlichen Basil Nwanga – Männer wie sie – an ihn zu wenden. Bray schrieb nach England (im Augenblick hatte er ja den Vorteil, etwas objektiv Interessantes, wie z. B. den Kongreß, zu haben, worüber er Olivia Bericht erstatten konnte, und das gab ihm die Möglichkeit zu einem langen Brief) und bezeichnete Shinza als eine »lästige Mahnung an Ideen, die noch immer herumstreunen. Jenseits des Bannkreises der glänzenden Hauptstadt ist das ganze Land …«
    Es war ein Brief, der vor Familie oder Freunden laut vorgelesen werden würde. »Interessant« – und nichts darin, was nichtjeder hätte lesen können. Was sich zwischen ihm, Shinza und Mweta abspielte – darüber kein Wort; Vertraulichkeit war hier ebensowenig möglich wie anderswo. Und doch – als er ihn noch einmal durchlas (manchmal las er jetzt seine Briefe an sie mehrmals durch), begriff er plötzlich, daß seine Bemerkung über Shinza etwas von der Wahrheit seiner Beziehung zu ihm widerspiegelte, die unbewußt den gekünstelten Ton des Briefes durchbrach.
    Er wurde in die Diskussionen im Hause Gomas in der Altstadt einbezogen. Natürlich war es sein Gespräch mit Semstu – die »Mein-alter-Freund«-Wendung, mit der er an jenem Tag in der Ofenhitze eines uralten Wagens und in gleicher Höhe mit einer Plastikrose an ihn appelliert hatte – das ihn in den Augen der anderen ausgewiesen und akzeptabel machte; Shinza verließ sich dabei zweifellos auf Dauerhafteres und Bewährteres. Aber vielleicht hatten sie recht: Die kleinste Tat kann bindender sein als die größten Prinzipien. Shinzas Gruppe setzte ihre Attacken auf das, was Goma die »Verknöcherung der Parteiführung« nannte, bei jedem einzelnen, zur Diskussion gestellten Tagesordnungspunkt fort, obwohl ihnen, wie sie da im Hause Gomas versammelt waren, klar war, daß ihre Niederlage bei der Abstimmung über den Generalsekretärs-Antrag ihre Niederlage bei diesem Kongreß bedeutete. Sie schienen fest dazu entschlossen zu sein, den Delegierten weiterhin – wenn diese auch die Opposition immer wieder

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