Der Ehrengast
seltenen örtlichen Fernsehproduktionen Regieführte. Das Mädchen trug ein kurzes Kleid aus schönem Stoff, der aus dem Norden Afrikas stammte, kletterte, ganz Beine, mit Asahe in der Menge herum und blickte dann und wann in die Richtung, wo ihr Vater und Bray saßen – mit einem Strahlen, weil sie sich ihnen als ein ganz besonderes Wesen präsentieren konnte, das sich frei zwischen diesen unter Nylon-Gazehemden durchschimmernden schwarzen Männerschultern und diesen schreienden Frauen mit ihren für den freudigen Anlaß weißbemalten Gesichtern bewegte. Sie war auf ihre eigene Art so exotisch, daß sie irgendwie zu diesem Spektakel dazugehörte – wie etwa in der nördlichen Hemisphäre ein Gepard an einer vergoldeten Kette bei einer Modenschau nicht fehl am Platz wirkt. Bray ließ eine Bemerkung darüber fallen, daß Ras nun auch Filme machte, und Hjalmar sagte, beinahe widerwillig stolz auf seine Tochter: »Was er auch anrührt, es scheint immer gutzugehen.« Er redete mit gepreßter, unterdrückter Stimme; das war nicht die Art von Bemerkung, die er in Gegenwart seiner Frau Margot gemacht hätte.
Shinza war direkt zurück zu den Bashi gefahren – zumindest hatte er die Hauptstadt verlassen: »Ich seh dich dann zu Hause«, vermutlich meinte er Gala. Ohne ihn war es fast so, als ob überhaupt nichts geschehen wäre. All diese Leute vor Mweta, alte Männer in Leopardenfell und mit Schmuckbändern aus Samenkörnern, die um ihre Fußgelenke rasselten, wenn sie mit plattfüßigen Sprüngen einen alten Kriegstanz aufführten, der die jungen Leute kichern machte, Kirchenchöre mit gefalteten Händen, aufmarschierende Kadetten, Stander, Kapellen, Tänzer, heulende Frauen, Kleinkinder, die an Brüsten sogen oder geröstete Maiskolben abnagten, Männer, die unter selbstgeschneiderten Parteibannern paradierten – die gleißende heiße Sonne, Staub, der Geruch von Maisbier, kochenden Innereien und gedörrtem Fisch: der Taumel des Lebens. Bray spürte, wie er ihn mit dem eigenen Schweiß durchtränkte. Wenn er jetzt hätte mit Mweta sprechen können (ein leuchtendes, ein strahlendes Gesicht, er wies die Erholung des Baldachins zurück und ließ die ganzePracht der Sonne und der brüllenden Menge auf sich einwirken), hätte er ihm sagen wollen, das werden sie immer haben, es ist eine Affirmation des Lebens. Sie würden es auch einem anderen geben, wenn man dich, Mweta, morgen wie eine Fahne einholte und ein anderer deine Stelle einnähme. Das ist es nicht, was dir jetzt wichtig sein sollte. Und er fragte sich, ob er ihm jemals wieder etwas sagen würde, etwas, woran er selbst glaubte. Unlängst, am Abend, da war es so leicht gewesen; wie war es nur möglich, daß diese Dinge so leicht sein konnten. Plötzlich, inmitten des verschwommenen Durcheinanders von Bildern, hellen und dunklen, die aus der von Hitze und Lärm herrührenden leichten Benommenheit entstanden, stand für einen Sekundenbruchteil das Bild Olivias vor ihm. Auch mit ihr war es leicht. Sie stellte keine Fragen – und er sprach nichts aus. Trotzdem aber fühlte er sich bei dem Gedanken daran, sie und Mweta könnten auf irgendeiner Ebene seines Denkens miteinander in Verbindung stehen, unbehaglich. Natürlich bot sich ein Verbindungsglied ganz offensichtlich an; die Vergangenheit. Aber eine Verbindung zwischen dem stumpfen Gang hinunter zum Parkplatz, um für Shinza Stimmen zu gewinnen (»Semstu, mein alter Freund«), und der Gegenwart des Mädchens – der Druck ihrer Berührung immer auf ihm, untilgbar –, konnte nur die Spur einer Schuld sein. Und schuldig wessen? Ich habe weitergelebt; ich begehre Olivia nicht; etwas, worüber man keine Macht hat; und die Dinge, an die ich glaube, waren in mir, bevor ich Mweta kannte, und bleiben in mir auch dann lebendig, wenn er sich von ihnen abwendet.
Er fühlte sich, mit dem freundlichen Hjalmar neben sich und der freundlichen Menge um sich herum, absolut allein. Er wußte nicht, wie lange das dauerte; vielleicht nur einen Augenblick, aber so intensiv, daß es zeitlos war. Alles zog sich vor ihm zurück; die Menge war tiefes Wasser. Eine Brise trocknete den Schweiß in seinem Nacken zu hartem Firnis.
Danach gingen sie auf einen Drink ins Haus der Bayleys. Roly war da, Margot und noch ein paar andere. »Wie haben Sie’s überlebt?« Neil Bayley meinte die Langeweile des Kongresses.Bayley war besorgt »wegen des Big Boss«; »Aber Sie hätten dasein sollen«; Hjalmar war irgendwo in seinem Inneren durch den
Weitere Kostenlose Bücher