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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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niederstimmten – mit ihrer Forderung nach mehr Handlungsfreiheit für die Basisgruppen der Partei und nach einer Veränderung in antiquierten sozialen und wirtschaftlichen Institutionen in den Ohren zu liegen. Sie betonten nachdrücklich, daß ein schlichtes Leben, Disziplin und Opferbereitschaft vorrangig seien und an die Stelle dessen treten müsse, was sie als Karrierismus der neuen regierenden Elite brandmarkten. Bray bemerkte Shinza gegenüber unter vier Augen, daß sie Symptome des Puritanismus zu zeigen begännen, wie sie für eine Interessengruppe charakteristisch seien. Shinza lächelte, stocherte an seinem abgebrochenen Zahn herum: »Das ist genau das, was anInteressengruppen letzten Endes falsch ist, aber, naja, was bleibt ihnen denn sonst übrig?«
    Aber als am letzten Tag über die Begrüßungsansprache des Präsidenten debattiert wurde, ritt er eine brillante Attacke auf Mwetas Position, scheinbar ohne ihn persönlich anzugreifen, und plädierte leidenschaftlich für den Kampf gegen »das falsche Demokratieverständnis, das die Demokratie als eine Schutzmacht der Konzerninteressen und als einen Bewahrer von Bindungen an die ehemalige Kolonialmacht ansieht«. Er erinnerte eindringlich an den »Geist der Zwietracht«, der »in diesem Kongreß überall sichtbar wurde, weil er in den Herzen der Menschen, in den Köpfen der Menschen sitzt«, wobei er seine Worte dadurch unterstrich, daß er seine buschige Mähne wie ein in die Falle gegangenes Tier hin und her warf: »Unabhängigkeit ist nicht genug. Der politischen Revolution muß eine soziale folgen, ein neues Leben für uns alle …« Und mit zitternden Händen, die über dem Tisch vor ihm schwebten, zitierte er:
    »Geh zu den Menschen
    Lebe unter ihnen
    Lerne von ihnen
    Liebe sie
    Diene ihnen
    Plane mit ihnen
    Fang bei dem an, was sie wissen
    Bau auf dem auf, was sie haben.«
    Es war ein wagemutiges Unternehmen; dieses chinesische Sprichwort war schließlich das Lieblingszitat Nkrumahs, der sowohl den Sozialismus ausgerufen als auch sich selbst als Gott eingesetzt hatte … aber man konnte Shinza über diese Assoziation wohl kaum vorwerfen, er habe ähnliche Pläne, weil Mweta – wie Kaunda – eine Zeitlang das abgesetzte ghanesische Staatsoberhaupt weiterhin politisch anerkannt hatte. Später, als er von einem englischen Journalisten, der ihn aufgesucht hatte, interviewt wurde, und der ihn als den »feurigen politischen Veteran, der wie ein wirbelnder Staubteufel aus den Bashi Flats zurückgekehrt«sei, apostrophierte, wurde Shinzas Frage zitiert: »Werden wir, nachdem wir unseren Staat aufgebaut haben, die Skelette der Opposition eingemauert in seinem Gebäude vorfinden?« (Olivia schickte den Zeitungsausschnitt postwendend.)
    Der für die Schlußansprache des Kongresses ausgesuchte Mann war gewöhnlich eine Stütze des Parteivorsitzenden; nun, da der Vorsitzende der Partei gleichzeitig Präsident war, deutete die Wahl allgemein auf einen kommenden Mann in der Regierung. John Nafuma, der Staatssekretär im Präsidialamt, kam in Frage. Aber es war Ndisi Shunungwa, der Generalsekretär des UTUC , der die Ansprache hielt.
     
    Am Sonntag gab es eine große Parteikundgebung; viele Delegierte blieben ihretwegen da, und von nah und fern kamen Leute auf Lastwagen und zu Fuß. Das Unabhängigkeitsstadion, das seit den Unabhängigkeitsfeiern zum ersten Mal wieder benutzt wurde, war für diesen Anlaß hergerichtet worden; das Unkraut, der Schaden, den Regenfälle und Menschen verursacht hatten, die (so hieß es) Tribünenteile als Baumaterial entwendet hatten – alles wurde gesäubert und in Ordnung gebracht, offenbar mit der großzügigen Unterstützung des Bergbaukonzerns, dessen Gärtner und Arbeiter noch immer den Konzerngrundbesitz mit seinen grünen Rasen und Cannabeeten pflegten, die zur Zeit des Kolonialismus eine geordnete, neutrale Umgebung für die weißen Angestellten geschaffen hatten. Bray war in Gesellschaft von Hjalmar Wentz und dessen Tochter Emmanuelle da und hörte, wie der Vorsitzende dem Bergbaukonzern dankte, darüber hinaus auch anderen, die er als »Sponsoren« bezeichnete – eine internationale Firma für Erfrischungsgetränke hatte ihre Lieferwagen für den Transport alter Menschen und von Schulkindergruppen zur Verfügung gestellt.
    Hjalmar war auf diesen kleinen Ausflug sehr erpicht gewesen, und Emmanuelle assistierte mehr oder weniger Ras Asahe, der bei einer Ton- und Filmaufnahme des Ereignisses für den Rundfunk und eine der

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