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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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treffen – ja, wird Mweta mich vielleicht sogar deportieren müssen. Und selbst das wäre eine Form der Begegnung.

TEIL FÜNF

 
     
    IHR WAGEN , GEPARKT vor dem Haus der Tlumes, Kalimos Wäsche über den Büschen, der Feigenbaum überzogen von einer Staubkruste, die Art des Schweigens, das ihn im Schlafzimmer mit seinen dünnen, hellen Vorhängen empfing, und im Wohnzimmer – er durchschritt diese Räume mit unvermittelt zu Fäusten geballten Händen. Alles hier; keine Erinnerung; Leben, jetzt. Er trat in es ein und ergriff Besitz. Kalimos Willkommen durchströmte ihn wie ein Ausdruck der eigenen Freude.
    Und bald kam sie, er hörte sie die Verandastufen heraufsteigen, hörte das Quietschen der Tür mit dem Fliegengitter, die sie passieren ließ – mit einer jäh in ihm aufwallenden inneren Gewißheit, daß sie, wahrhaftig, in ein paar Sekunden da, in diesem Zimmer stehen würde. Und dann war sie tatsächlich
da
. Dieses Selbst, das sich, trotz der gewissenhaftesten Anstrengung des Verstandes und der Sinne, trotz genauester Erinnerung, nicht aufbewahren ließ, niemals, niemals, dieses Selbst, das nur, wenn sie
da
war, Glück spenden konnte. Und als er sie in seine Arme nahm (Anflug von Unbeholfenheit wegen der Unfähigkeit, glauben zu können, daß es geschah, Geschmack ihrer Mundhöhle, der ihm ins Gedächtnis zurückkam, Empfindung des Fleisches unter seinen auf ihrem Rücken gespreizten Fingern), drang auch schon die Botschaft dieses Selbst in ihn ein und löste sich, ein Leuchtbild, in Vertrautheit auf. Mit der belustigten Neugierde einer, die zufrieden zurückgeblieben war und gewartet hatte, wollte sie »all die Geschichten« hören – weder um die Hauptstadt noch um die Gesellschaft ihrer alten Freunde hatte sie ihn beneidet. Zum ersten Mal aßen sie wieder gemeinsam; ja, genauso war sie – diese Art, hinter halbgeschlossenen Lidern zu überlegen, was sie als nächstes nehmen sollte. Er hielt inne, um sie anzusehen, und sie griff immer wieder nach seiner Hand, drehte sie dahin und dorthin und drückte sie.
    »Du warst bei meinem Anruf sehr ruhig.«
    Kaum, daß sie eine Erklärung erwartete. Mit unverbindlicher Neugier sagte sie: »Du warst selbst sehr ruhig.«
    »Willst du nicht wissen, wofür ich den Brief wollte? Interessiert es dich nicht, was ich damit gemacht habe? Rebecca, ich hab dein Geld von der Bank abgehoben.«
    Sie blickte ihn forschend an, suchte den Witz. »Nein, sag mal im Ernst.«
    »Es stimmt. Das Geld von dem Haus. Ich hab’s weggeschickt. Steht jederzeit zu deiner Verfügung, in der Schweiz. Da kommt kein anderer dran, und sperren kann das Konto auch keiner. Und egal, wo du bist, du hast immer Zugang dazu.«
    Mit einem Mal war sie verkrampft und hilflos, ein Ausdruck, bei dem ihr Gesicht über den Jochbeinen breiter und flacher wirkte. »Wozu? Ich will nicht weg.«
    »Du mußt sicher sein. Du und deine Kinder. Und ich bin jetzt überzeugt, daß ihr es seid.«
    »Ich versteh.«
    »Du verstehst nicht … du verstehst nicht …« Er mußte sich vom Tisch erheben und zu ihr hinübergehen, um sie unbeholfen von der Seite her an sich zu drücken. Er nahm ihr die Arme vom Gesicht; es war erregt, gerötet. Wie ein starker Bindfaden lief eine Vene über ihre Stirne herab. Gleich wird sie weinen, dachte er. Er neckte sie: »Du bist vielleicht ein gutgläubiges Mädel, ich hätte mit deinem ganzen Vermögen durchbrennen können. Du hast es herausgerückt, ohne auch nur einen Mucks von dir zu geben.«
    Sie drückte ihr Kinn zurück gegen ihren weichen, vollen Hals, um sich zu beherrschen. »Das Ärgerliche dabei ist, daß du nie den Versuch machst, mir etwas zu verbergen. Ich weiß genau, was du tun wirst und was du nicht tun würdest. Ich könnte da nie was dran ändern.«
    »
Ich hoffe
wenigstens, daß das Geld auf einer Schweizer Bank liegt. In ein bis zwei Wochen werden wir wissen, ob’s da ist, oder ob ich bloß ein leichtgläubiger Narr war, der’s für dich verspielt hat.«
    Zwischen den »Geschichten« – unbedeutende Neuigkeiten aus ihrem Freundeskreis – erzählte er ein wenig vom Kongreß; der aber steckte wie ein Block in seinem Kopf und ließ sich nicht in Anekdoten abhandeln, genausowenig in einer bloßen Aufzählung von Ereignissen, selbst wenn er diese erklärte. Im Lauf der Tage zerbrach er in jene Teilstücke, die ihm als die bedeutungsvollsten erschienen. Sie nahmen eigene Ausdrucksformen an und fanden von selbst die Zeitpunkte, zu denen sie auftauchten.
    In dieser Nacht

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