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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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getränkten Beinen aus, und unbemerkt schnippte er es von ihrem Bauch. »Oh, wie konnte ich das nur vergessen – ich erzähl’s dir gleich …« Blind stieg sie auf die klitschnasse Matte und tastete nach dem Wasserhahn, um ihn abzudrehen, und zwang ihn, ebenfalls aus dem Bad zu kommen – »Genug Hydrotherapie, Bray. – Er ist nämlich in England. Er ist zurück nach Englandgefahren! Seine Frau ist gestorben. Also ist er jetzt nach England zurückgefahren!« Die beiden begannen zu kichern. »Was ist denn daran so komisch? Ich hab gesagt, seine Frau ist gestorben!« Aber sie lachten nur noch mehr. »Kommt er wieder? Hat er’s fest versprochen?« »Das hat er natürlich nicht. Aber er kommt zurück. Er ist bloß gefahren, weil sie gestorben ist …, um sich zu überzeugen, daß sie wirklich tot ist, nehm ich an …
ich
hab keine Ahnung …«
    Er wollte sie auf ihre von der Sonne verbrannten Lider küssen, auf ihren Nacken, aber in einer Art verzweifelter Verlegenheit wehrte sie sich plötzlich, obwohl sie auch da noch lachte. Genauso kniff ihr kleiner Sohn, der jüngere, lachend oder weinend sein Gesicht zusammen und trat mit den Füßen, um sich von ihr manchmal, wenn sie ihn packte und aufhob, freizumachen. Bray kämpfte mit ihr, aber ihre Augen flogen auf, und er sah – Anklage, Komplizentum; abwesende Ehefrau, tote Ehefrau. »Komm jetzt. Tupf dich ab. Ich werd dir die Schultern eincremen.« Sie machten sich still und zielbewußt an diese kleine Aufgabe.
    In der Frühe, als er sich rasierte, lehnte sie ihr Gesicht an seinen Rücken, ihre vom Schlaf gelösten Arme um seine Mitte. Derart angenehm behindert, reinigte er das Schneemanngesicht im Spiegel in rasiermesserbreiten Streifen und legte sein eigenes frei, das zu sich selbst sprach, als sie über die Hauptstadt tratschten. Er erzählte von Vivien, die gesagt hatte, es sei überraschend, daß sich keine von ihnen Shinza als Liebhaber genommen habe. »Hat sie das wirklich so gesagt – ich meine ›genommen‹? Da kommt ihre Erziehung zum Vorschein, die gute alte Vivien, wenn es um solche Dinge geht, dann denkt sie, sie ist wieder in einer der Geschichten ihrer Großmutter – oder vielleicht Urgroßmutter; die war zur Zeit von König Edward eine berühmte Schönheit, die mit einem Lord verheiratet war und tatsächlich
beschlossen
hat, sich diesen oder jenen Mann zu nehmen. Egal, was er davon hielt.«
    »Hast du Vivien was von uns gesagt?«
    Er spürte, wie eine feuchte Filzspitze eine Linie seine Wirbelsäule hinaufzog: ihre Zunge. »Nicht gerade gesagt. Aber wennich schreibe, dann heißt es natürlich immer, ›wir haben das unternommen und das unternommen‹.«
    »Ich hatte nämlich den Eindruck, sie wüßte über uns Bescheid.«
    »Vivien weiß über diese Dinge immer Bescheid. Sie weiß Bescheid, spricht aber nicht darüber.«
    Natürlich hatte Vivien schon früher ihre Diskretion unter Beweis gestellt; vielleicht sogar damals, als es um den eigenen Mann und den Freund der Freundin ging. »Und sie täuscht sich in Menschen nie – ihr Urteil«, sagte der Mund in seinem Rücken gerade.
    Er wollte sagen: »Sie mag Gordon nicht«, aber seine halbgeschlossenen Augen, die das Rasiermesser im Spiegel über seinen Hals dirigierten, ließen ihn mit ihrem vergnügten Ausdruck verstummen. Ohne die Brille und mit seiner leicht geröteten Hautoberfläche war im festen, glattgezogenen Fleisch jenes Gesichtes, von dem er annahm, es stelle ihn dar, plötzlich beinahe dieser jüngere Mann aufgetaucht, von dem, aus wenig überzeugenden Gründen, jeder Mann glaubt, er repräsentiere sein eigentliches Ich. Mit stummem Gleichmut betrachtete er dieses Gesicht, und in seinem Rücken spürte er sie.
    Als sie zum
boma
fuhr, versprach er ihr, er werde versuchen, noch in der Nacht zurückzukommen; er lächelte sie sanft und beruhigend an, um nochmals eine bestimmte Perspektive zur Sprache zu bringen: »Und ich werde herausfinden, ob nun Madame Boxer tatsächlich gestorben ist oder ob sie bloß so getan hat«, sie aber war schon ganz mit ihrem Schuhabsatz beschäftigt, sagte, er sei lose, und eilte zum Haus zurück, um sich ein Paar roter Sandalen anzuziehen. Rote Schuhe waren es gewesen, mit denen sich Oriane de Guermantes beschäftigt hatte, um der Nachricht auszuweichen, daß Swann sterben würde: Rebecca aber wußte wohl nicht, wer Oriane und Swann waren – mit Olivia hatte er Proust während eines Winters in Wiltshire noch einmal durchgelesen. Genau jene Art von Genuß, die

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