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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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das Gebiet eine Bedingung – Wetter, Glück (mit den Fischen), Entfernung vom nächstgelegenen Ziel. Er ließ seine Gedanken treiben; fügte das der Theorie der Ästhetik, derzufolge Schönheit ein Nebenprodukt von Funktionstüchtigkeit war, einen neuen Aspekt hinzu? Ebenso mochte Schönheit eine andere Weise sein, die Umstände zu betrachten, in denen eine Funktion – in diesem Falle das Fischen – stattfand. Einer der Männer legte einen Finger an die rechte Seite der Nase und blies die linke mit einem scharfen Schnauben in den See hinein frei. Das Wasser, dieses nämliche, köstliche, blasse Element, durch das die Fische hindurchschimmerten, trug den Rotz rasch hinweg.
    An der Küste lagen ganze Kommunen von mehreren tausend Bewohnern, deren Kinder ebensowenig zur Schule gingen, wie die Männer (Aleke beklagte sich nach Brays Rückkehr nach Gala darüber) Steuern zahlten. »Während Sie dort oben Ihre Sachen erledigen, könnten Sie sich vielleicht überlegen, was wir dagegen unternehmen können.« Alekes Worte entsprangen der träumerischen Gemütsverfassung eines Mannes, den seine Probleme leicht verwirrt machten. »Die Regierung behauptet, diese Burschen seien nach den Bergleuten die größten Geldverdiener im ganzen Land, aber von der Einkommensteuer wollen sie nichts wissen. Alles, was du von ihnen zu hören kriegst, ist, daß sie ihre Hüttensteuer immer gezahlt haben. Einkommensteuer ist etwas für Weiße. Sollen sie jetzt etwa nur deshalb Weiße werden, weil wir unsere eigene Regierung bekommen haben? Du lieber Himmel, Mann, was ist diese Unabhängigkeit doch für eine Sache!« Wenn sich Bray dabei die Fischer vorstellte, war ihm eher zum Lachen zumute. »Nun, sie sind ihre eigenen Unternehmer, können weder lesen noch schreiben und sind zudem extrem schlau – das ist ein harter Brocken für einen Verwaltungsapparat.« »Ich meine, wie hoch soll man ihre Einkünfte ansetzen? Das ist keineFrage einer doppelten Buchhaltung. Es ist alles hier drin« – Aleke tippte mit einem Finger an seine Schläfe – »welcher Buchprüfer kommt da schon ran?« »Organisieren Sie sie in Genossenschaften«, sagte Bray, noch immer amüsiert.
    »Naja, da gibt’s die große Fischereigesellschaft.«
    »Ja, aber das ist eine ausländische Firma, die Leute, die auf den Motorschiffen arbeiten, sind bloß Angestellte. Ich meine die Leute, die für die eigene Kasse fischen und Handel treiben. Oh, ich denke, das wird auch noch kommen.«
    »Diese Leute? Die haben kein Interesse daran, von uns zu erfahren, was für sie gut ist!«
    »Machen Sie sich nichts draus, Aleke, der Präsident ist für das freie Unternehmertum.« Beide lächelten; auf die Art und Weise beruhigte Mweta die ausländischen Bergbaugesellschaften, ohne jene Mitglieder der Regierung, die vor einem ökonomischen Kolonialismus Angst hatten, durch einen direkten Affront vor den Kopf zu stoßen.
    »Haben Sie mir Fische mitgebracht?« fragte Aleke, während er Papiere in Schubladen stopfte; Bray war hereingekommen, als er auf dem Weg zum Lunch war.
    »Hab nicht daran gedacht! Aber nächstes Mal vergeß ich’s bestimmt nicht. Was hat Ihre Frau denn gern? Ich hab großartige Flußbarsche gesehen.«
    »Oh, sie ist aus der Stadt, nichts, was aus dem See kommt, würde sie auch nur anfassen. Aber ich will nicht, daß es mit den Kindern einmal das gleiche ist. Ich hab ihr erklärt, sie müssen essen, was man da, wo sie leben, kriegen kann. Und sie sagt darauf, und was paßt dir dann am Fleisch aus dem Supermarkt nicht?«
    »Nächstes Mal bring ich Ihnen einen Flußbarsch mit.«
    »Ja, ein anständiger Fischeintopf mit Paprikaschoten, das hab ich gern.« Er nahm eine Nagelschere und fuhr mit der Spitze unter den blassen Nägeln seiner schwarzen Hände entlang, als schälte er eine Frucht. »Ich bin ganz voll von dem Kohlepapier. Ich muß sogar selbst meine Matrizen abziehen. Ich sollte heute eigentlich gar nicht zum Essen nach Hause, Mann, ich hab Arbeitbis über beide Ohren. Ehrlich, ich hätte größte Lust, den ganzen Weg bis zum Ministerium zu fahren und mir dort eine anständige Sekretärin zu kidnappen.« Er brummelte entspannt vor sich hin, als er mit Bray die Büroräume verließ; einer seiner Söhne war auf dem Dreirad heruntergekommen, um ihn abzuholen, und wartete draußen auf ihn; er hielt eine seiner Zehen, aus der eine helle Träne Bluts getreten war, in der Hand: Während sie die Verletzung untersuchten, rollte der Tropfen wie ein Quecksilberkügelchen den

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