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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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wir brachten, zu vergrößern – dann ist der Gewinn nicht groß
. Er hatte das Gefühl, er selbst sei auch nicht qualifiziert, die notwendige radikale Lösung zu finden; und auch das Erziehungsministerium war es nicht, mitsamt seinen Beamten, dem fähigen Spezialisten für Englisch, der dreißig Jahre davor Rektor einer berühmten englischen Schule gewesen war, und dem Amerikaner, der leihweise von einem Institut für afrikanische Studien an einer Universität aus dem Mittelwesten zur Verfügung gestellt worden war. All das waren Männer, für die die Struktur der Pädagogik auf dem eigenen kulturellen Hintergrund und ihren eigenen Erfahrungen basierte; und selbst er, der so lange in Afrika gelebt hatte, tendierte dazu, die Mängel entsprechend den ihm vertrauten Erziehungsmustern zu beurteilen, anstatt sie mit den Augen eines Kindes zu sehen, für das das, was in der Schule vorgebracht wurde, nicht Festigung des Bewußtseins bedeutete, ein Teil des großen kulturellen Systems seiner Heimat zu sein. Wirklich benötigt wurde vielleicht jemand, der mit den modernsten Lerntechniken vertraut war. Jemand, der sich über die alten Vorurteile hinwegsetzen konnte, die so sehr von einem bestimmten kulturellen Hintergrund abhängig waren, und der sich auf den Lernprozeß selbst konzentrierte. Und dieser Prozeß sollte dann von allen Korrelationen einer einschlägigen Kultur gesäubert werden. »Schreiben Sie einen Brief an einen Freund, in dem Sie ihm über eine gemeinsame Fahrt mit Ihrer Tante auf den Kontinent berichten« – er dachte oft an den Lehrer in Matoko.
    Um zu den weiter nördlich am See gelegenen Fischerdörfern zu gelangen, ließ er seinen Wagen bei der Fisch-Gefrier-Anlage am Südzipfel zurück und fuhr auf dem Wasserweg weiter, mehr oder minder als Anhalter, der von den unabhängigen Fischern in den schwerfälligen, selbstgebauten Booten mitgenommen wurde. Ein paar von ihnen waren in Wahrheit eher Händler als Fischer; sie zogen den wandernden
kapenta
nach und verkauften sie dann überall am See, wo sie rar waren, zu achtzig Pfund denSack. Grenzen wurden von diesen Booten ignoriert; überall, wo es möglicherweise eine Siedlung gab, legten sie an, und die Männer an Bord beherrschten Suaheli ebensogut wie Gala – vor Hunderten von Jahren war Suaheli, die
lingua franca
des Seegebiets, von der Ostküste heruntergekommen, obwohl es die Bewohner des Binnenlandes so weit unten im Süden nicht sprachen. Eingeschlossen inmitten des Kontinents, hatten die Bewohner der am See gelegenen Siedlungen etwas von der selbstverständlichen Weltläufigkeit von Hafenbewohnern und das individualistische Unabhängigkeitsbedürfnis von Leuten, deren Revier über den ständig vor ihnen schwankenden, glitzernden und vor dem Boot immer weiter zurückweichenden Horizont hinausreichte. Sie lachten, machten Witze und sprachen um Bray herum über die Fischpreise; nun, da er Tag für Tag Gala sprach, beherrschte er es wieder so gut, daß er sich am Gespräch beteiligen konnte und sogar die Suahelismen mitbekam, die sich in ihre Ausdrucksweise einschlichen. Stunde um Stunde saß er auf seinem Lager aus Säcken mit getrocknetem
kapenta
, tauschte seine Zigarren gegen ihren Pfeifentabak, während das Boot in den unendlichen Glanz des Sees eintauchte und wieder aufstieg. Sein englisches Gesicht spannte und wurde rot, und dann – so als produzierte sein Körper irgendein pigmentartiges Sekret, dessen Absonderung in den Jahren seiner Abwesenheit eingestellt worden war – waren seine Arme wieder glatt und gebräunt, und das Gesicht im Rasierspiegel wurde zum Gesicht eines Urlaubers. Egal, wie angeregt das Gespräch auch war, die Stimmen verloren sich auf dem See wie eine vom Wasser verschluckte Münze. Für ihn war, was ihn umgab – das Strahlen des Wassers und des Himmels, eine Art Explosion der beiden Elemente in einem nie endenden Blitz –, schön und sinnlich wie etwas, das er nie wieder zu sehen erwartet hatte.
Dies
war es. Etwas so Körperliches konnte man nicht in der Erinnerung behalten. Das Denken konnte es nicht zurückholen; es mußte von neuem erlebt werden. Die Fischadler stießen gespenstische Pfiffe aus, ein Ton von der dunklen Seite der Sonne. Dann und wann kochte das Wasser, aufgewühltvon den Schwanzflossen von Fischschwärmen, Felsbrassen, die
kapenta
fraßen, Tigerfische, die nach Felsbrassen schnappten, darüber rüttelten Fischadler und Möwen, die sich hinabstürzten und ihre Beute holten. Für seine Gefährten war

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