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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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unterschrieben hatte, schrieb er noch:
All unsere Gründe dafür, daß Du nicht kommst, scheinen einfach darin zu suchen zu sein, daß wir den Grund, weshalb Du kommen solltest, nicht benennen können
. Dann war es also ein Liebesbrief. Er strich es durch. Probeweise schrieb er:
All unsere Gründe für Dein Kommen scheinen durch irgendeinen unbekannten Grund für Dein Nichtkommen außer Kraft gesetzt zu sein.
Er spürte, daß er nicht verstand, was er gesagt hatte. Er klebte den Umschlag nicht zu. Er legte ihn zu den Blättern, die er für Mweta – über Mweta – gefüllt hatte.
    Am Morgen ließ er die Seiten so liegen. Zumindest bis er mit Aleke gesprochen hätte. Zumindest bis dahin.
    Aleke und seine neue Sekretärin begannen den Tag mit einer Tasse Kaffee, als er in den Büroräumen ankam. Es war eine Atmosphäre, die er schon sein ganzes Leben lang kannte – oder was er für »sein ganzes Leben lang« hielt: die Jahre in Afrika. Die Büros noch ungelüftet, aber kühl vor Einbruch der Tageshitze, die Beamten, die sich müßig und über die Schulter hinweg unterhielten, während sie langsam mit ihrem Hin und Her durch die Gänge anfingen; die Zeit, bevor die Post hereinkam. Aleke füllte seinen zurückgeschobenen Stuhl aus und befragte Rebecca Edwards im witzelnden Ton guten Einverständnisses.
    »Sie haben doch nicht vergessen, den Paragraph B, Abschnitt siebzehn einzufügen, hm, meine Gute.« Sie lehnte sich ans Fenstersims, in einer Hand die Tasse, in der anderen eine Zigarette. »Hab ich nicht.« Natürlich, man konnte sich darauf verlassen, daß sie übers Wochenende Akten mit nach Hause nahm; Aleke sagte es selbst: »Sie sind ein Engel. Und werden Sie den Vorgang bis Freitag auf den letzten Stand bringen? Schwören Sie?« Erschenkte Bray das Lächeln, mit dem ein vielbeschäftigter Mann jemanden begrüßt, der gerade von irgendeiner Vergnügungsfahrt zurückkommt. »Nun, wie war’s im Busch? Haben Sie alles erledigt?« Sie plauderten über den Zustand der Straße. »Mr. Scott hat neulich zu Stanley Nko gesagt: ›Das beste für die Bashi Flats wäre, wenn sie sezessionieren würden …‹« (Nko hatte den Posten Scotts, des weißen Provinzchefs der Verkehrsbehörde, übernommen.) Aleke fand diese Lösung des Problems ungeheuer witzig, und alle lachten sie.
    »Könnte ich Sie einen Augenblick sprechen, Aleke?« fragte Bray.
    »Aber sicher, sicher.«
    Rebecca Edwards machte taktvoll Anstalten, sofort zu gehen. »Hier, hier, vergessen Sie das nicht …« Aleke winkte mit einem Ordner.
    Er stand auf, nahm vom entsprechenden Nagel den Toilettenschlüssel, um sich für den täglichen goldenen Augenblick zu empfehlen, und sagte: »Stehe sofort zu Ihrer Verfügung – wenn Sie sich inzwischen die Nachrichten anhören wollen …« Er machte eine Geste in Richtung auf das Transistorradio auf seinem Schreibtisch.

 
     
    ALEKE WUSCH SEINE Hände mit
boma
-Seife und trocknete sie mit einem Streifen
boma
-Handtuch ab.
    »Ich hab einen jungen Burschen im Auto mitgenommen«, sagte Bray.
    Aleke begann mit dem Kopf zu nicken und wandte sich lächelnd einer Geschichte zu, deren Inhalt er erraten konnte. »Solange er Ihnen nicht eins über den Schädel gezogen hat. Die Zustände werden langsam so schlimm wie unten in der Stadt. Was hat er Ihnen denn abgenommen? Ein paar von diesen Jungs aus der Fischfabrik – ehrlich, ich nehme keine Anhalter mehr mit.«
    »Ja, von der Fischfabrik – bloß daß er frisch aus dem Gefängnis kam. Er war über zweieinhalb Monate drin. Kein Prozeß. Keine Anklage. Hier in Gala, in Lebalisos Gefängnis.«
    Aleke setzte sich an seinen Schreibtisch und hörte sich etwas an, das ihm bekannt war und das er nicht erst zu erraten brauchte. Er streckte seine Hand aus und setzte den Ventilator in Bewegung; wahrscheinlich tat er das jeden Morgen genau zur gleichen Zeit, um die einfallende Hitze zu vertreiben. Bray konnte in seinen Zügen lesen. »Sie wissen davon«, sagte Bray.
    »Lebaliso hat mich ins Bild gesetzt.«
    »Also war es Lebalisos Entscheidung?«
    »Wir haben diesen Burschen schon seit langem im Auge. Einer von Shinzas Jungs.«
    »Was meinen Sie mit ›einer von Shinzas Jungs‹?«
    »Es arbeiten jetzt eine Menge Bashi hier. Shinza sorgt dafür, daß sie ab und zu Ärger machen. In den Gewerkschaften und so weiter.«
    »Aleke.« Bray versuchte die Angelegenheit von der Nüchternheit wegzubringen, mit der Aleke sie behandelte, als wäre sie eine scharfe Bombe, die in einem gepflegten

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