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Der Ehrengast

Der Ehrengast

Titel: Der Ehrengast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Gordimer
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gedacht, nächstes Jahr und nächstes Jahr … aber im Ernst, Colonel, ich hab den Plan, die Reise zu machen.« Im Warenhaus, wo er eine Gasflasche abzuholen hatte, waren Veränderungen im Gange: Neben der Kasse und dem AUSGANG HIER -Schild wurde gerade ein Drehkreuz aufgestellt – neben der zweiten Tür, die früher durch Linoleumrollen und Zinnbadewannen verstellt gewesen war. Schon drängten sich Männer und Frauen in Gesundheitssandalen aus Plastikmaterial, die nun von all jenen getragen wurden, die sich Schuhe leisten konnten, und bahnten sich mühsam einen Weg, um sich ihren Anteil am Supermarkt-Manna zu holen – einen Gratiskamm für jeden Einkauf von mehr als zwei Pfund sechs Shilling. Ein altes, übergeschnapptes Weib, das durch die Straßen Galas zog, war irgendwie hinter das Drehkreuz gelangt und sang gangauf, gangab, zwischen den Regalen mit Lebensmittelkonserven und Waschpulvern, Kirchenlieder.
    Anstatt nach Hause zu fahren, machte er einen Umweg über das Gefängnis. Er war der Meinung, hinter dem Spital vorbei und um den Hügel herum führe ein Weg zur Gefängnisstraße. Es war so, wie er es in Erinnerung hatte; verfolgt von japsenden Hunden fuhr er die Straße hinunter, und da war es – ein nacktes Stück Erde mit niedrigen, blinden, der Sonnenhitze ausgesetzten Gebäuden darauf, wie jede andere Kaserne oder jedes andere Gefängnis Afrikas. Er wußte nicht, was er erwartet hatte: Es gab da einen neuen, sehr hohen Zaun aus rautenförmigem Maschendraht und einem Stacheldraht darüber, durch den geriffeltes, metallisch schimmerndes Licht fiel; die neue Fahne hing schlaff herab. Als D. C. war er oft da drin gewesen. Er kannte den heißen, weißen Innenhof und den Geruch von Desinfektionsmitteln und saurem Maniok. Kein politischer Gefangener war zur Zeitder britischen Verwaltung hier festgehalten worden; die waren unter Berufung auf diverse Notstandsverordnungen in Straflager geschafft worden. Er hatte auch die gesehen; Lager, die in abgelegenen Gegenden errichtet worden waren, wo niemand lebte und in deren Innerem die Wochen, Monate, Jahre in Hitze und Isolation vorübergingen. Menschen waren in ihnen geschlagen worden; waren an Ruhr gestorben. Eine Untersuchungskommission hatte sie weder geheilt noch ins Leben zurückgeholt. Seine Erschütterung auf der Rückreise von den Bashi hatte plötzlich etwas Aufgeblasenes. Der Vorgang verlor den grellen Schein des Abnormen; leidenschaftslos dachte er darüber nach. Er hatte sich jenen narbenüberzogenen Rücken angesehen; aber war es tatsächlich etwas so Unvorstellbares, für Mweta, für ihn selbst – für jedermann, der jemals einen Fuß über die Grenzen von Wiltshire hinauszusetzen gewagt hatte? Seine Hände hatten gezittert – darüber, über etwas Alltäglichem?
    Es zu verdammen gehörte ebensosehr zum Zentrum seines Seins wie der verborgene Muskel, der das Blut durch seine Brust pumpte. Aber allein wegen des Wissens, daß es geschah, hier, unter seiner Nase, wie eine Jungfrau zu zittern …
    Etwas allgemein Bekanntes
. Die Luft, die wir atmen; mein Leben habe ich mit diesem Gestank in der Nase zugebracht. Warum jetzt dieses Würgen? Du hast bei deiner Arbeit mit dem Gestank der Gewalttätigkeit in der Nase zu tun, wie ein Arzt es bei der seinen mit der Bedingung von Krankheit und Tod zu tun hat.
    Die Schraube des Mittags drehte sich über allem. Sie drückte auf das tote Haus, als er sich zum Lunch hinsetzte, den Kalimo hatte anbrennen lassen. (Kalimo war weit weniger tüchtig, als er ihn in Europa in Erinnerung gehabt hatte; oder lag es bloß daran, daß Kalimo älter geworden war, alt? – Bray bemerkte einen bläulichen Ring, einen Ring wie den um den Mond, der eine Grenze zwischen der braunen Iris und den von roten Äderchen durchzogenen gelben Augäpfeln des Mannes zog.) Je mehr er darüber nachdachte, ob er Mweta zur Rede stellen sollte, desto drängender wurden die Zweifel an seiner eigenen Funktion und,darüber hinaus, an der zwielichtigen Problematik – sie war wie der Schatten um ein verdächtiges Organ auf einem Röntgenbild – seiner persönlichen Autorität. Wenn die Geschichte mit dem Jungen ein Fall von Mißbrauch durch irgendeinen Beamten war, der allzu großzügig mit seiner neuerworbenen Macht umging, dann mochte die Unterhaltung mit Aleke allein schon ausreichen, um unter dieses besondere Ereignis einen Schlußpunkt zu setzen; Aleke würde Lebaliso darüber informieren, und Lebaliso würde sich hüten, noch einmal Dinge zu tun,

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