Der Eid der Heilerin
hatte. Jane lächelte sogar, während sie zügig und methodisch ihrer Arbeit nachging, die einzelnen Haarsträhnen abteilte und sie mit langen, gleichmäßigen Strichen sorgfältig vom Haaransatz bis zu den Spitzen bürstete. Doch tief in ihrem Inneren dachte Jane, wie sehr sie diese Frau hasste und wie wenig die Königin von den wirklichen Wünschen ihres Mannes wusste. In diesem Augenblick wurde Doktor Moss mit einer Nachricht des Königs gemeldet.
»Jehanne, sieh nach, was er will. Jane! Du kratzt ja meine Kopfhaut auf!«
Die Königin war gereizt. Dame Jehanne beeilte sich, dem Wunsch der Königin zu entsprechen, und bemerkte im Hinausgehen die flammende Röte, die an Janes Hals aufstieg. Jehanne war sich sicher, dass die Königin wieder schwanger war. Seit nunmehr zwei Monaten hatten sie keine blutigen Lappen mehr aus dem Ankleidezimmer entfernen müssen, und auch die wechselhaften Launen der Königin wiesen darauf hin. Aber natürlich behielt sie ihre Vermutung für sich. Bevor die Schwangerschaft offiziell bestätigt war, wäre es riskant, sich in Spekulationen zu ergehen.
Im Empfangszimmer ging Doktor Moss auf und ab und wartete darauf, vorgelassen zu werden. Nur das gelegentliche Aufeinanderschlagen seiner schweinsledernen Handschuhe verriet seine Ungeduld.
Jehanne eilte geschäftig zu ihm. »Die Königin wird gerade angekleidet, Doktor Moss. Ich werde Eure Botschaft entgegennehmen.« Der Doktor verbeugte sich, ließ sich aber nicht abweisen. »Überaus freundlich von Euch. Ich fürchte aber, ich muss Ihre Majestät persönlich sprechen. So lautet mein Auftrag. Persönlich.«
»Der Auftrag des Königs?«, erkundigte sich Jehanne spitz. Manchmal ließ sie nicht jeden so ohne weiteres zur Königin vor, insbesondere Doktor Moss, dem sie nicht über den Weg traute.
»Auftrag von Lord Hastings. Trotzdem ... der König hat ihn darum gebeten.« Er setzte sein charmantestes Lächeln auf.
Jehanne ließ sich davon nicht beeindrucken. »Wartet hier«, sagte sie und ließ die Tür des Ankleidezimmers energisch ins Schloss fallen.
Moss lächelte matt.
Anne und Jane legten der Königin den Kopfschmuck an und wagten kaum zu atmen, aus Angst, den raffinierten, sorgfältig gesteiften Schmetterlingsschleier zu zerstören. Rose beobachtete das Ganze mit Adleraugen. Sie war die Schleier- macherin der Königin, und dieser Kopfschmuck war eines ihrer gelungensten Werke, deshalb wehe ihnen, wenn sie dieses perfekt gekräuselte Exemplar zerknitterten oder gar zerstörten. Aber dann war es geschafft, und als Evelyn die Haube mit langen, am Ende mit Perlen verzierten Nadeln über dem Schleier befestigte, atmeten die Mädchen erleichtert auf.
Vorsichtig drehte die Königin den Kopf hin und her, um das Gewicht des starren Schleierwerks zu prüfen, ehe sich völlig unerwartet ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. »Exzellent, Rose. Das hast du sehr gut gemacht.«
Alle im Zimmer lächelten - der Tag war gerettet. Von dem Stimmungswechsel ermutigt, näherte sich Jehanne und flüsterte der Königin etwas ins Ohr, so leise, dass nicht einmal Jane, die unmittelbar daneben stand, etwas verstehen konnte.
Elizabeth erhob sich mit einem strahlenden Lächeln. »Kommt. Ich möchte jetzt meinen Herrn, den König, zur Messe begleiten.« Siegessicher rauschte sie durch die reich geschnitzte Tür ihres Ankleidezimmers und betrat das Empfangszimmer.
Doktor Moss sah eine bezaubernde Erscheinung auf sich zukommen. Die Morgensonne, die durch die östlichen Palastfenster hereinströmte, drang durch den Schleier der Königin und fing sich im Glanz ihrer Juwelen. Es war kein Zufall, dass sie sich Edward geangelt hat, dachte Moss. Ihre Schönheit hatte manchmal etwas geradezu Ü berirdisches an sich. Verstöhlen bekreuzigte er sich und ließ sich auf ein Knie sinken. Vielleicht war an den Gerüchten etwas Wahres, und sie war tatsächlich eine Dienerin des Teufels. Diese strahlende Gestalt konnte nicht von dieser Welt sein.
Die Königin bemerkte zufrieden, welchen Eindruck sie auf den gut aussehenden Arzt machte. »Doktor Moss. Ich höre, Ihr bringt eine Nachricht des Königs für mich?«, fragte sie freundlich.
Der Doktor erhob sich anmutig und trat nicht minder elegant auf die Königin zu, wo er sich neuerlich verbeugte und ihr schweigend das kostbare Lackkästchen überreichte. Neugierig nahm es die Königin entgegen, klappte den Deckel auf - und hielt den Atem an. Darin lag, auf schwarzen Samt gebettet, ein großer Smaragdring. Der
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