Der Eid der Heilerin
Körper waschen - das weckt nur lüsterne, schmutzige Gedanken, das weißt du ganz genau, Schlampe. Ich hab dich gesehen - hast Cuttifers Sohn nachgestellt, glaub bloß nicht, dass ich nichts merke, du lasterhaftes Stück. Höllenweiber seid ihr, du und diese Aveline, geil und schamlos seid ihr zwei. Ihr werdet kriegen, was ihr verdient ...«, schimpfte der Alte, als er die schwere Kanne nach oben schleppte.
Anne beachtete seine Beschimpfungen nicht. Seit dem ersten Tag in der Küche war ihr aufgefallen, dass er alle Frauen so behandelte. Er hasste Frauen - vor allem junge Mädchen -, und es hieß, er liebe die Knaben. Am besten ließ sie ihn einfach weiterreden, beim Erklimmen der Treppe würde er noch früh genug aus der Puste kommen. Und Anne fragte sich, nicht zum ersten Mal, warum er nicht schon vor Jahren vor die Tür gesetzt worden war.
Als Anne das Sonnenzimmer betrat und die schweren, französischen Bettvorhänge zurückzog, sickerte das erste matte Licht der Dämmerung durch die Fenster. Der alte Mann, der ausnahmsweise schwieg, goss das Wasser in die Waschschüssel, während Aveline sanft ihre Herrin weckte. Als Corpus wieder im Treppenhaus verschwunden war, rührte sich die Schlafende und erwachte. Frohen Herzens sah sie zu dem Mädchen hinüber, das am Kamin stand und ihr Kleid anwärmte. »Anne, ein neuer Morgen.«
Anne lächelte glücklich, trat zum Bett und hielt das Kleid in die Höhe, während Aveline ihrer Herrin beim Aufstehen half. »Spute dich, Mädchen - deine Herrin wird sich sonst erkälten«, schalt sie gewohnheitsmäßig.
Doch Anne war entschlossen, sich heute von niemandem die Laune verderben zu lassen, nicht einmal von Aveline. Der Unterschied zwischen der gesunden Frau, die lächelnd neben dem Bett stand, und der Halbtoten jenes Frühlingsmorgens vor acht Monaten war Belohnung genug, und das konnte ihr niemand nehmen.
»Seid Ihr stark genug, zum Kamin zu gehen, Herrin?«, fragte Aveline.
»Ich bin stark genug und will mit dem größten Vergnügen gehen, Aveline!« Beim glücklichen Ton in Lady Margarets Stimme musste Anne wieder lächeln. Freudig half sie ihr zu dem Stuhl am Kamin.
»Anne, ich werde Lady Margaret die Haare bürsten. Und du kannst mit dem Waschen anfangen. Aber stell dich nicht so ungeschickt an.«
Anne unterdrückte einen Seufzer. Trotz ihrer Jugend verstand sie, dass Aveline sie schlecht machte, weil sie Angst hatte, von ihr verdrängt zu werden. Also gab sie sich alle Mühe, ruhig zu bleiben. Aveline würde sie nur noch mehr schikanieren, wenn sie das Gefühl hatte, dass ihre Sticheleien sie trafen. Margaret lächelte ihre jüngste Zofe mitfühlend an, worauf diese, vom freundlichen Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Herrin ermutigt, die zarte Haut mit dem warmen, feuchten Tuch betupfte, bis die Herrin lachte. »Ich werde schon nicht zerbrechen, Mädchen - du kannst mich ruhig kräftiger anfassen!« Anne rubbelte die zarte, weiße Haut etwas fester, während Margaret sich an Aveline wandte. »Ist das Festtagsgewand fertig?«
»Ich glaube ja, Mistress«, sagte Aveline und bemühte sich um einen möglichst neutralen Ton. »Anne, zeig Lady Margaret das Gewand.«
»Nein, noch nicht. Trockne mich zuerst ab, dann bin ich bereit für die Überraschung. Wir müssen uns beeilen, wenn wir vor meinem Gatten unten sein wollen. Auch er hat eine Überraschung verdient!«
»O ja, Lady, das hat er wirklich nach der Aufregung der letzten Monate. Seid Ihr sicher, dass ...?«, meinte Aveline ungewohnt herzlich.
»Dass ich stark genug bin? Ja, mit Gottes und eurer Hilfe.«
Aveline rieb sie eigenhändig mit einer duftenden Creme ein - Levkojenessenz in kostbarer Mandelölsalbe -, die das Weiß der Haut erhalten sollte. Dann erst gestattete sie Anne, das Kleid zu holen, das an einem Haken in der Kleiderkammer hing.
Als Anne neu war in Blessing House, hatte sie sich zuerst gescheut, die schönen Kleider der Herrin im Abort aufzuhängen, wie Aveline ihr befohlen hatte. Doch dann hatte sie festgestellt, dass der Geruch Motten und Fliegen von den gemusterten Samt- und Damaststoffen fern hielt. Und als sie nun ihr Werk aus dem Vorraum der Latrine holte und zur Begutachtung ausbreitete, wurde sie mit Margarets freudigem Seufzen belohnt.
»Oh, Anne, wie entzückend. Komm her, ich muss es gleich anprobieren!«
Aveline wandte sich für den Bruchteil einer Sekunde ab und blinzelte ihre Tränen zurück. Eine Woge unterschiedlichster Gefühle drohte ihre eiserne Selbstbeherrschung ins
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