Der Eid der Heilerin
Arbeitszimmer. An diesem Tag hatte er guten Grund zu beten, denn er wollte Gott für die Genesung seiner Frau danken. Sie war zwanzig Jahre jünger als er, doch in den sieben Jahren ihrer Ehe war seine Liebe zu ihr inniger und größer geworden als die Verbundenheit mit all ihren Vorgängerinnen - Gott sei ihrer Seelen gnädig.
Ausnahmsweise lenkte ihn Lärm in der Eingangshalle von seinen Gebeten ab, also verzichtete er dieses eine Mal auf sein Vorhaben. Der Herr würde verstehen, dass dies ein großer Tag war, ein wichtiger Tag für sein Zuhause und für sein Ansehen. Es kam nicht oft vor, dass ein Untertan an seinem eigenen Namenstag den König empfangen durfte, noch dazu in seinem eigenen Haus. Er holte tief Luft und erhob sich, ohne auf die Schmerzen in seinen Knien zu achten. Es war an der Zeit, zur Tat zu schreiten.
Als er die Empfangshalle betrat, war es, als bestünde sein gesamter Hausstand aus einem brodelnden Leib aus Menschen und kläffenden Hunden. Niemand sah ihn hereinkommen, denn in diesem Augenblick schritt Margaret, von ihren Zofen gestützt, die breite Steintreppe herab. Hurrarufe wurden laut, als die Bewohner von Blessing House sie erblickten.
Phillipa Jassy eilte mit strahlendem Lächeln auf ihre Herrin zu. »Wir danken der heiligen Jungfrau, dass wir Euch hier begrüßen dürfen, Mylady.«
»Darauf ein Amen. Und ich werde im Haus des Herrn Gott und seiner Mutter auf Knien für ihre Hilfe und ihren Segen danken. Aber zuerst möchte ich zu meinen Mann. Ist er in seinem Arbeitszimmer ...?«
»Nein, Frau, ich bin hier, neben dir.«
Beim Klang seiner Stimme drehten Margaret, Aveline und Anne sich um und beugten schweigend die Knie. Die Leute verstummten, denn ihnen bot sich ein Bild der Anmut, als wären drei Engel von den Mauern der Abtei herniedergeflogen. Mit Tränen in den Augen nahm Mathew Margaret herzlich in die Arme und küsste sie sanft auf die Stirn.
Eine laute Stimme durchschnitt den anschwellenden Tumult der glücklichen Menge: »Alsdann, ein Hoch auf meinen Vater und auf Lady Margaret!« Es gab Augenblicke, in denen Piers tatsächlich ein Gespür für Grazie besaß, und dies war ein solcher Augenblick.
Die Wände bebten von Hochrufen wider, als Master Mathew seiner ehrwürdigen Frau den pelzgesäumten Mantel umlegte und sie feierlich durch die Halle zum Portikus hinausgeleitete, wo sie auf die Kutsche warteten. Unbemerkt von den Umstehenden hielt er ihren Unterarm fest, um sie, so gut es ging, zu stützen.
Als Anne sich bückte, um Lady Margarets Schleppe zu richten, bemerkte sie plötzlich Piers neben sich, der unter dem Vorwand, ihr aufhelfen zu wollen, seine eine Hand um ihre Hüfte legte, während er mit der anderen eilig ihre Brust umfing und nach der Brustwarze tastete.
Vor Schreck richtete Anne sich so schnell auf, dass sie gegen Aveline prallte, ehe Piers seine Hand zurückziehen konnte - und dann verstand sie gar nichts mehr. Aveline stand einen Augenblick lang reglos da und sah von einem zum anderen, ehe sie erbleichte. Eine Hitzewelle stieg ihr ins Gesicht, sie drehte sich um, riss Anne die Schleppe aus der Hand und formte mit den Lippen das Wort »Schlampe«.
Piers lachte und machte eine tiefe Verbeugung vor den beiden Mädchen. »Mistress Aveline, du siehst reizend aus in dem hübschen Kleid. Und welch ein intensiver Teint. Er betont den Glanz deiner Augen. Ich gratuliere! Und du, Mistress Anne, du solltest immer grün tragen - die Farbe spiegelt sich in deinen Augen wider.«
Gemächlich schlenderte Piers von dannen und trat neben seinen Vater, während Anne sich einen Reim darauf zu machen versuchte. Warum war Aveline so aufgebracht? Sie glaubte doch nicht etwa, dass sie Piers zu seinem Verhalten ermutigt hatte?
»Aveline ... es tut mir Leid, aber bitte glaube mir, ich habe nicht...«
»Genug! Dem Sohn des Herrn auflauern, das ist ein uraltes Spielchen. Ich weiß genau, was du vorhast!«
Aveline stolzierte erhobenen Hauptes hinter ihrer Herrin her, ohne die unverschämten, spöttischen Blicke zu beachten, die Piers ihr zuwarf. Da begriff Anne allmählich. Aveline und Piers? War zwischen den beiden etwas - etwas, das Aveline ernst nahm, so ernst, dass sie glaubte, es verteidigen zu müssen? Zutiefst betrübt schloss Anne sich der Menschenmenge von Blessing House an. Nie zuvor hatte sie sich so einsam und allein gefühlt - sie war in ein Spiel geraten, dessen Regeln sie wahrscheinlich nie begreifen würde.
Hewlett-Packard
Kapitel 4
Die Abtei war kaum
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