Der Eid der Heilerin
konnte sie ihren Blick nur mühsam vom Bett abwenden.
»Sire, es war klar, dass ich nicht bleiben konnte.«
Unwillkürlich schloss sie die Augen. Und wieder sah sie die Bilder. Sie und er zusammen, nackt...
Er drehte sich um und betrachtete sie. »Hast du seit unserer letzten Begegnung an mich gedacht?«
Mühsam unterdrückte sie ein Lächeln.
»Ich habe versucht, es nicht zu tun, Sire.«
Langsam schlenderte er auf sie zu.
»Und warum?«
Nun lächelte sie, so schwer ihr die Antwort auch fiel.
»Ihr kennt den Grund.«
Er stand so dicht neben ihr, dass sie ihn hätte berühren können. »Ich habe von dir geträumt. Jede Nacht. Jeden Tag.«
Seine Worte schnitten wie Messer in ihr Herz. »Das tut mir Leid für Euch, sehr Leid.«
Ihr Wortwechsel war wohl überlegt, nichts war dem Zufall überlassen - Schlag und Gegenschlag -, und beide wussten, dass dies nur ein Auftakt war. Ein Auftakt zu was?
»Erinnerst du dich an den Handel, den wir geschlossen haben?«
Nah, ganz nah war er.
»Ja.« Mehr konnte sie nicht sagen.
Seine Stimme war leise. »Der Valentinstag. Du hast mir etwas versprochen.«
»Sire, es war Euer Vorschlag, nicht meiner.«
»Aber du hast zugestimmt. Das Turnier steht kurz bevor, und heute Nacht... möchte ich deinen Vorsatz prüfen.«
Wie eine überspringende Flamme überwand er den winzigen Abstand zwischen ihnen und zog sie bebend an sich. Und, Gott stehe ihr bei, Anne erwiderte sein loderndes Verlangen und küsste ihn leidenschaftlich. Jeder Augenblick war eine brennende Qual, bis - bis sie sich versteifte.
»Nein.«
Ein leises Zischen war zu hören. Aus einem der Kohlebecken stieg Rauch auf, und dann flackerten die Kohlen mit einem Mal rot auf. Sie waren wieder voneinander getrennt. Seine Hände lagen auf ihren Schultern, und er sah ihr in die Augen.
»Wie kannst du gegenüber deinem König so illoyal sein?«
»Gegenüber einem anderen König bin ich illoyal. Gegenüber meinem Vater.«
»Deinem Vater? Ich dachte, du hättest keinen Vater.«
Eine eisige Hand griff nach Annes Herz. Für den Bruchteil einer Sekunde schwankte sie. Sie hätte schweigen können, aber... sie war schon zu weit gegangen. Aus Angst? Aus Stolz? Einen Augenblick lang herrschte vollkommene Stille, dann seufzte sie.
»Nein, Edward. Mein Vater lebt.« Sie sprach ihn absichtlich mit dem Vornamen an.
Eine Zeit lang schwieg er, dann verzog er die Lippen zu einem argwöhnischen Lächeln. »Wer ist dein Vater, Anne?«, fragte er leise.
»Henry VI. Der einstige König.« Sie sah ihm in die Augen,
ohne zu lächeln oder mit der Wimper zu zucken. Nachdem sie so lange ohne Vater gewesen war, konnte sie ihre Herkunft nun nicht mehr verleugnen.
Schweigen. Dann lächelte er wieder, wenn auch voll Düsternis. »Dann ist Henry V. also dein Großvater?«
Anne nickte kaum merklich.
Die Welt schien mit einem Mal stillzustehen, und dann brach der König in Gelächter aus. Er lachte und lachte. Sein Lachen hallte von den Wänden wider. Doch dann hörte er so plötzlich auf, wie er begonnen hatte, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und drehte es zum Licht. Erst die eine Seite, dann die andere. Er musterte sie, als wollte er sich ihre Züge für alle Zeit einprägen. Ihre Hände griffen nach den seinen, aber obwohl sie stark war, konnte sie es nicht mit ihm aufnehmen. Beide atmeten heftig, doch nicht aus Leidenschaft, sondern vor Zorn.
»Ich kann nichts erkennen, was mir Aufschluss über deine Herkunft gäbe«, erklärte er beherrscht. »Es sei denn, du bist eine Verräterin.«
»Eine Verräterin? Nein. Ich verlange nichts von Euch, aber es gibt Beweise. Briefe. Was ich gesagt habe, ist wahr, und wenn mir oder den meinen etwas zustößt, werden diese Briefe einer Person übergeben, die Euch bis jetzt nicht feindlich gesinnt ist, die aber Euer Feind werden wird, sollte mir etwas passieren.«
Sie spielte ihren Bluff mit unerschütterlicher Sicherheit aus, und er ließ die Hände sinken. Doch in diesem Moment erkannte Anne zum ersten Mal Edwards wahre Macht. Sein Blick war kalt, seine schwarzen Augen gleichgültig auf sie gerichtet.
»Ich warne Euch, Lady, nehmt Euch in Acht. Ich weiß mit Intrigen gegen meinen Thron umzugehen. Moss!«
Schon stand Moss im Türrahmen.
»Moss, Ihr habt mich hinters Licht geführt. Diese Frau ist eine Verräterin. Nehmt sie fest.«
Mit zorniger Miene und sehr bleich stapfte der König an dem erschrockenen Moss vorbei aus dem Zimmer. Um Zeit zu gewinnen und sich wieder zu fassen, verneigte
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