Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
hatte geduldig neben ihm verharrt und ihre letzten Vorräte mit ihm geteilt, als sie Hunger bekam. Wolfram aß kaum etwas, er wirkte erschüttert.
Das kleine Mädchen versuchte verzweifelt, tröstende Worte für ihn zu finden. »Vielleicht hat Gott es sich ja einfach anders überlegt!«, sagte Magdalena. »Vielleicht führt er uns über einen anderen Weg ins Heilige Land!«
Wolfram warf ihr einen bösen Blick zu. »Einen anderen Weg gibt es nicht!«, höhnte er.
Magdalena runzelte die Stirn. »Doch, doch sicher, Gott kennt alle Wege! Er könnte uns Himmelswagen schicken, die uns viel schneller übers Meer bringen! Sicher wird er heute Nacht noch mit Nikolaus sprechen, und morgen sieht alles anders aus. Komm, lass uns zu ihm gehen und mit ihm beten! Er ist doch so enttäuscht heute, er muss wissen, dass wir noch fest im Glauben sind.«
Während Wolfram sich endlich in Bewegung setzte, hellte ihr Gesicht sich auf. »Das ist es, Wolfram! Das heute war nur eine Prüfung! Gott wollte wissen, wie viele von uns auch noch zu Nikolaus stehen, wenn er nicht gleich Wunder wirkt. Gott will nur die Besten, Wolfram! Komm, lass uns Nikolaus beweisen, dass wir dazugehören!«
Wolfram gab ein ungläubiges Schnauben von sich, machte sich dann aber doch auf, Nikolaus zu suchen. Zunächst erwies sich das als schwierig, Magdalena allein hätte sicher keinen Zugang zum Dom gefunden. Aber als sich Wolfram, der Ritter, mit fester Stimme durchfragte, öffnete ihm schließlich ein junger Kaplan eine Seitenpforte und führte die beiden durch die Sakristei in weitere, dem Klerus vorbehaltene Räume.
In einem Innenhof tagte der innere Zirkel um den kleinen Prediger. Aufgeregt und laut, die Stimmen klangen deutlich schärfer als sonst. Der Debatte fehlte die Ehrfurcht, die sonst alle vor Nikolaus hatte verstummen lassen. Einige der Jungen gingen heftig mit dem Knaben ins Gericht.
»Herrgott, du kannst doch hier nicht herumsitzen und weinen, weil das Meer sich jetzt doch nicht geteilt hat!« Hannes stand in der Mitte des Kreises und schimpfte auf Nikolaus ein. »Da draußen sind siebentausend Leute. Die vertrauen auf dich! Also hilf uns, herauszufinden, was Gottes Wille ist!«
»Er spricht nicht mit mir!« Nikolaus weinte herzzerreißend. »Er hat uns verlassen, er hat uns verlassen …«
»Gott verlässt uns nicht«, sagte Bruder Bernhard beruhigend und streichelte liebevoll über das Haar des Knaben.
»Eben! Er will nur, dass wir uns selbst etwas einfallen lassen. Also: Wir werden genau so übersetzen wie alle anderen Kreuzfahrer – mit Schiffen!«
Hannes hatte sich offensichtlich bereits Gedanken darüber gemacht. Die anderen lachten, allen voran die Mönche.
»Und wo willst du die herkriegen?«, fragte Roland. »So eine Überfahrt kostet ein Vermögen!«
Magdalena nestelte ihre Silberbrosche aus dem Saum ihres Kleides. Sie gab sie ungern her, sie hätte sie zu gern bei ihrer Hochzeit getragen. Aber Gott verlangte jetzt sicher Opfer. Und Nikolaus … er war so traurig, so verzweifelt. Sie liebte den wunderschönen Knaben fast noch mehr als Wolfram …
Magdalena trat vor. »Hier, die kannst du haben!«, sagte sie freundlich und hielt Nikolaus das Schmuckstück hin. »Wenn wir … wenn wir alle zusammenlegen …«
»Du!« Bruder Bernhard schlug ihr das Geschenk aus der Hand. »Du wagst es, Nikolaus deinen Hurenlohn anzudienen? Was hast du tun müssen für die Brosche, Mädchen?«
Der Mönch sah sie mit dem hasserfüllten Blick an, den sie so oft in seinen Augen gesehen hatte, nachdem er sie genommen hatte. Er war dann voller Scham über das, was er getan hatte – aber auch voller Wut auf das Mädchen, das ihn verführte.
»Nichts … ich …« Magdalena sah Nikolaus Hilfe suchend an.
»Eine Hure?«, fragte der Knabe verwirrt. Sein hübsches Gesicht verzerrte sich. »Du bist eine Hure? Ich hab dich mir zu Füßen sitzen lassen! Ich hab dich hier geduldet, zwischen den besten meiner Leute! Und dann bist du hinausgegangen und hast die Unschuldigen zu unsittlichen Handlungen genötigt?«
Magdalenas Augen weiteten sich. Natürlich hatte Nikolaus nicht gewusst, dass Roland und seine Leute so ziemlich jedes der Mädchen besessen hatten, das je an seinem Feuer gewesen war. Es war sicher eine böse Überraschung für ihn. Aber … aber er musste das doch vergeben! Er musste doch sehen, dass sie es aus Liebe getan hatte. Dass sie ihm helfen wollte …
Nikolaus sprang auf. »Solche wie du sind schuld!«, schrie er sie an. »Natürlich
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