Der Eid der Kreuzritterin - Jordan, R: Eid der Kreuzritterin
Sühnegebete verrichtet hatte, suchten sich rasch einen Platz mit guter Sicht. Magdalena zitterte. Wenn er jetzt all die Sünder im Heer nannte …
Nikolaus tat allerdings nichts dergleichen. Er wirkte auch nicht mehr wie der wütende Racheengel von der vergangenenNacht, sondern so süß und liebevoll und ganz erfüllt von seiner Aufgabe wie in den Wochen zuvor.
»Freunde! Gläubige!«, begrüßte er die Kinder. Ein paar quittierten das mit höhnischem Lachen, aber man sah auch interessierte und hoffnungsvolle Gesichter. »Gestern Morgen sind wir alle tief enttäuscht worden. Wir hatten auf ein Wunder gehofft, aber Gott hat es uns nicht gewährt. Sei es, weil er uns als unwürdig erachtet, weil Sünder unter uns sind, oder weil er uns weiter prüfen will.«
»Das hab ich Wolfram gleich gesagt!«, wisperte Magdalena.
Konstanze gebot ihr zu schweigen.
»Warum, so fragte Gott mich heute Nacht, als ich mit seinen Engeln Zwiesprache hielt, warum soll ich es euch leicht machen? Habe ich es meinem Sohn leicht gemacht, meinen Aposteln? Nein! Wer wahrhaft für den Glauben einsteht, der wählt ein schweres Leben! Gott hat das Meer gestern nicht für uns geteilt. Aber das heißt nicht, dass er uns losspricht von unseren Verpflichtungen! Gott in seiner unerschöpflichen Weisheit gibt uns nur neue Aufgaben, an denen wir wachsen und erstarken sollen, bis wir einst den Heiden entgegentreten. Und nicht nur uns! Gott wendet sich heute auch an die Bürger und besonders die Kaufmannschaft von Genua! Hört, ihr reichen Handelsherren und Schiffseigner: Gott will, dass die Heiden bekehrt werden. Gott will Jerusalem befreien. Und Gott schickt uns, diesen Auftrag zu erfüllen. Euch hat er ausersehen, uns dabei zu helfen. Ich rufe euch zu, Volk und Senat von Genua: Gebt uns Schiffe! Setzt uns über ins Heilige Land, auf dass wir unseren göttlichen Auftrag erfüllen! Gott ließ mir in dieser Nacht durch seinen Engel sagen, dass viele Menschen hier sündig sind. Dass sie Geld verleihen gegen Zinsen. Dass sie gierig sind, wenn es gilt, Preise für ihre Waren festzusetzen.«
»Ganz schön unverfroren!« Armand hatte sich, in Begleitung eines der Tempelherren, zu den Mädchen durchgekämpftund küsste Gisela zur Begrüßung auf die Wange. »Da füttert ihn die Bevölkerung von Genua jetzt seit drei Tagen durch, und er verdammt sie vor ihrer eigenen Kirche!«
»Gott will euch das alles vergeben, Volk von Genua! Aber ihr müsst guten Willen zeigen. Gebt uns Schiffe! Bringt uns ins Heilige Land!«
Kurze Zeit herrschte Stille auf dem Domplatz, aber dann nahmen die ersten begeisterten Kinder den Ruf auf.
»Gebt uns Schiffe! Gebt uns Schiffe!«
Alle drängten nach vorn, um Nikolaus nahe zu sein. Er hatte seine Zuhörer wiedergewonnen. Als sich der Bischof und die Senatoren beschwichtigend an die Menge wenden wollten, wurden sie niedergeschrien. Oberto Grimaldi konnte die Ruhe schließlich erst wiederherstellen, als er versprach, man werde über die Sache beraten.
»Also geht es doch um Einschiffung?«, fragte Armand den Ritter in seiner Begleitung. Er hatte ihn eben als Don Giuseppe Selva vorgestellt, Vorsteher der Genueser Komturei. »Die Kinder sollen ins Heilige Land?«
Don Giuseppe zuckte die Schultern. »Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Aber diese flammende Rede … die Mönche müssen es ihm eingeflüstert haben. Auch wenn sie gar nicht so begeistert scheinen.«
Tatsächlich wirkte es eher so, als machten Bruder Bernhard und die anderen Nikolaus heftige Vorwürfe.
Magdalena dachte an das, was sie am Abend zuvor im Rat gehört hatte. Dann holte sie tief Luft. »Die … die Mönche wollten das nicht mit den Schiffen«, verriet sie. »Das war Hannes, der das wollte.«
Hannes war es auch, der in den nächsten Tagen die Verhandlungen führte. Lange, zähe Verhandlungen, aber von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Schon vor Nikolaus’ Rede auf dem Domplatz war ein Treffen der Stadtoberen vereinbart gewesen – Armand hatte den Komtur der Templer eben dahinbegleiten wollen, als er die Mädchen auf der Piazza traf. Die durch die Worte des Jungen verärgerten Herren einigten sich dabei schnell: Weder die großen Reedereien noch die Templer noch die christliche Kaufmannschaft würden den Kreuzfahrern kostenlos Schiffe stellen. Die jüdische Kaufmannschaft verpflichtete sich, das auch nicht gegen Geld zu tun, und eventuellen Reedern oder Kaufleuten von auswärts würde man keine Genehmigung erteilen, mit den Kindern
Weitere Kostenlose Bücher