Der Einbruch des Meeres
Willen schloß er endlich die Augen.
Glücklicherweise war Coupe-à-Coeur ein bessrer Wächter, denn kurz vor Mitternacht erwachten die Schläfer durch sein dumpfes Bellen.
»Achtung… Achtung!« rief der Brigadier, der sofort aufgesprungen war. Gleich darauf stand auch der Kapitän Hardigan schon auf den Füßen.
»Horchen Sie, Herr Kapitän!« sagte Pistache.
Von der linken Seite der Baumgruppe her ertönte ein lauter Lärm, ein Knirschen und Knistern von abgebrochenen Zweigen und zerissenen Gebüschen, etwa aus der Entfernung von einigen hundert Schritten.
»Sollten die Tuaregs von Zenfig uns verfolgen und uns vielleicht auf der Spur sein?
Ja, es war ja nicht zu bezweifeln, daß die Tuaregs sich nach Bekanntwerden der Entweichung zur Verfolgung aufgemacht hatten. Kapitän Hardigan lauschte dem Geräusche, stimmte dann aber der Ansicht des Brigadiers nicht zu und sagte:
»Nein, das sind keine Eingebornen! Die würden versucht haben uns zu überraschen, und ein solches Geräusch machen sie dann nicht.
– Was wäre es aber dann? fragte der Ingenieur.
– Das sind Tiere… vielleicht Raubtiere, die durch die Oase schweifen,« erklärte der Brigadier.
Ein Löwe war es nicht, sondern eine sehr große Antilope… (S. 203.)
Wirklich war der Lagerplatz jetzt nicht von Tuaregs, sondern von ein oder mehreren Löwen bedroht, deren Anwesenheit keine geringere Gefahr bildete. Wenn diese das Lager überfielen, wie hätte man sie beim Fehlen aller Waffen abwehren können?
Der Hund verriet durch Zeichen die lebhafteste Erregung. Der Brigadier hatte große Mühe, ihn etwas zu beruhigen, am Bellen zu verhindern und ihn zurückzuhalten, da er immer nach der Stelle fortstürmen wollte, woher das Geräusch und ein wütendes Gebrüll herübertönte.
Was mochte dort vorgehen? Kämpften die Raubtiere selbst miteinander, machten sie einander in ihrer Wut eine Beute streitig? Oder hätten sie die Flüchtlinge unter der Baumgruppe aufgespürt und standen sie schon auf dem Sprunge, sie zu überfallen?
Einige Minuten ängstlichen Schweigens. Waren sie endeckt, so mußten der Kapitän Hardigan und seine Gefährten bald eingeholt sein. Besser schien es, an Ort und Stelle zu warten, und schleunigst auf die Bäume zu klettern, um einem Überfall zu entgehen.
Der Kapitän gab einen diesbezüglichen Befehl, und der sollte eben ausgeführt werden, als der Hund den Händen des Brigadiers entschlüpfte und rechtshin von der Lagerstelle verschwand.
»Hierher… Coupe-à-Coeur!… Hierher!« rief Pistache.
Das Tier hörte ihn jedoch nicht oder wollte ihn nicht hören und kam nicht zurück.
In diesem Augenblicke schienen der Lärm und das Gebrüll sich zu entfernen; es wurde allmählich schwächer und verstummte endlich ganz. Man hörte nur noch das Bellen Coupe-à-Coeurs, der auch bald wieder erschien.
»Abgezogen… die Raubtiere sind offenbar davongetrottet, sagte der Kapitän. Von unsrer Anwesenheit haben sie nichts gewittert. Jetzt haben wir nichts mehr zu fürchten.
– Doch was hat denn Coupe-à-Coeur? rief Pistache, der, als er den Hund streichelte, bemerkte, daß seine Hände von Blut feucht geworden waren. Sollte er verletzt sein? Sollte er da draußen einen Tatzenschlag abbekommen haben?«
Nein… Coupe-à-Coeur klagte oder winselte ja nicht; er sprang lustig in die Höhe und lief wiederholt nach rechts hin und zurück. Es sah so aus, als ob er den Brigadier auffordern wollte, mit dahin zu kommen, und dieser war auch schon bereit, dem Tiere zu folgen.
»Nein, bleiben Sie hier, Pistache, rief ihm der Kapitän zu. Erst wollen wir etwas Tageslicht abwarten und dann sehen, was zu tun ist.«
Der Brigadier gehorchte. Jeder nahm den Platz wieder ein, den er beim ersten Gebrüll der Raubtiere verlassen hatte, und alle verfielen bald aufs neue in Schlaf.
Dieser sollte auch nicht weiter gestört werden, und als die Flüchtlinge erwachten, stieg die Sonne schon über den Horizont im Osten des Melrir empor.
Da sprang Coupe-à-Coeur nochmals in den Wald hinein, und als er zurückkehrte, sah man deutlich frische Blutspuren auf seinem Felle.
»Jedenfalls, meinte der Ingenieur, liegt dort drin ein verwundetes oder totes Tier, vielleicht einer der Löwen, die miteinander gekämpft haben…
– Schade, daß ein solcher nicht eßbar ist, sonst würde man gern etwas von ihm verzehren! sagte einer der Spahis.
– Wir wollen doch erst nachsehen« antwortete der Kapitän Hardigan.
Alle folgten dem Hunde, der sie lustig bellend
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