Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
Vom Netzwerk:
dass die Leute sahen, dass sie ihre Sache selbst in die Hand nehmen, auch einmal Gewinner sein könnten, denn wer immer nur auf die Fresse bekomme, traue sich selbst nichts mehr zu.
    Man müsse die Selbstwahrnehmung als Knecht knacken.
    Als Knecht? fragt Daniel.
    Das sei Hegel, antwortet Beule und grinst, eingebildet oder selbstironisch, Herr und Knecht, er habe erst später davon gelesen, na ja, zu lesen versucht.
    Daniel zeigt auf die Schnapsflasche: Und die einfachen Leute hätten sich geholt, was sie brauchten?
    Beule reagiert, als habe er den Einwand erwartet, als habe er sich die Antwort schon zurechtgelegt, nein, nein, sie seien vorher durch die Regale gegangen und hätten den Alkoholmit Eisenstangen zerkloppt, hätten dafür gesorgt, dass die Leute sich nicht hoffnungslos volllaufen ließen, Arbeiter, meide den Schnaps! , und weil Daniel erneut fassungslos dreinschaut, so verständnislos wirkt, rechnet Beule noch einmal vor: mit ein bisschen Glück hätte jeder Sachen für zweihundert Mark nach Hause geschleppt, davon hätte man damals zwei Wochen lang leben können, wenn dreißig Leute mitgemacht hätten, sei das ein Jahr Lebenszeit gewesen, ein Jahr weniger, das man mit Lohnarbeit vergeuden musste, er lacht, eine super Bilanz …
    Seltsame Rechnung, wirft Daniel ein.
    Simple Mathematik, erwidert der Mann und fügt hinzu: Und moralisch einwandfrei, anders als jene Revolten heute, bei denen Jugendliche kleine Nachbarschaftsläden ausräumten, die Autos ihrer Nachbarn anzündeten, die Kleinwagen, aber nicht die BMW s, weil die den Drogendealern gehörten, vor denen man Angst habe. Sie dagegen, früher , hätten gezielt das Kapital angegriffen, Aldi, Plus, Schlecker, die Superreichen, die auf Kosten der Gesellschaft lebten, bei ihnen sei es nicht einfach um Zerstörungswut gegangen, nicht um Destruktion, sondern um Aneignung.
    Und wie oft hätten sie das gemacht? Die Massen beglückt?
    Vielleicht zehnmal, antwortet Beule, sie seien vier Combos gewesen, vier Gruppen, eine davon habe nur aus Frauen bestanden, alle sehr gut organisiert, man habe sich untereinander nicht gekannt, bei den Aktionen seien alle vermummt gewesen, damit niemand die anderen verpfeifen konnte, falls jemand geschnappt wurde, falls einer ein Spitzel war.
    Daniel schüttelt den Kopf, die Vorstellung erscheint ihm absurd, er sagt: völlig bescheuert.
    Ja? antwortet Beule. Komme es ihm bescheuerter vor als diePolitik heute, als Bürgerinitiativen, die die Regierung zum Besseren bekehren wollten? Wenn die Sozialproteste, er redet sich in Rage, die Hartz- IV -Demonstrationen vor einigen Jahren so gelaufen wären wie ihre Aktionen, nur ansatzweise so gelaufen wären, hätte die rotgrüne Regierung, eine Regierung, die immerhin gewählt worden sei, um Sozialkürzungen zu verhindern, eine Million Demonstranten sicher nicht so verarscht.
    Daniel versucht, sich eine Million Demonstranten beim Plündern von Supermärkten vorzustellen. Ein Comic-Strip, denkt er, Fils Generation denkt in Comic-Strips, aber fragt dann doch nur nach dem weiteren Verlauf der Geschichte:
    Und bei einer dieser Aktionen sei der Freund des Vaters schließlich erwischt worden?
    Ja, sagt Beule, sie hätten einen Wachmann übersehen, der Mann habe ihm die Maske heruntergerissen, zwar seien sie davongekommen, der Wachmann habe ihn nicht festhalten können, aber da die Bullen schon vorher ein Auge auf sie geworfen hätten, seien sie sich unsicher gewesen, hätten sie geglaubt, der Wachmann könnte ihn bei einer Gegenüberstellung erkennen, das wären Raub und kriminelle Vereinigung gewesen, also habe er sich abgesetzt, nach Frankreich, denn die Franzosen hätten damals nicht ausgeliefert, viele Politische seien dort gewesen, Tausende allein aus Italien, Italien habe in den siebziger Jahren am Rand der Revolution gestanden, das könne man sich heute gar nicht mehr vorstellen, ganze Stadtteile waren nicht mehr unter der Kontrolle der Polizei, erzählt er, und seine Stimme klingt brüchig, so gerührt scheint er zu sein, die großen Fabriken wurden bestreikt, auf den Straßen pulsierte die Jugendrevolte, bis dann '79 schließlich der große Repressionsschlag kam, viele Tausende standen plötzlich auf Fahndungslisten und mussten über die Grenze nach Frankreich, und so sei er unerwartet einer von ihnen gewesen, sei er bei Anarchos in Marseille untergekommen.
    Ich dachte, ihr wart keine Anarchos.
    Wir nicht, aber die, Leute mit Stil … Ich war ja eher so der Provinztyp.
    Und Beule

Weitere Kostenlose Bücher