Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
Digitalkameras an, probiert ein Bildbearbeitungsprogramm aus, durchstreift ein anliegendes Kaufhaus. Aber schließlich erreicht er doch das Haus, in dem der Freund des Vaters wohnt, steigt die Treppe hinauf, riecht den modrigen Geruch, der aus den Wohnungen kriecht, klopft an die Tür.
Diesmal öffnet eine Frau, wie Beule groß und eher reserviert, das muss, könnte die Freundin sein, denkt Daniel, fragt sich, ob Beule überhaupt eine Freundin hat, ein so verkniffener Typ, und schaut der Frau hinterher, die keinen ganzen Satz mit ihm wechselt, sich nicht weniger verkniffen als der Mann gibt, ihn stumm in die Küche lotst und dann im anderen Zimmer verschwindet. Beule sitzt am Esstisch, liest eine Zeitung, die Daniel nicht kennt, kleinformatig, gegründet 1947, steht unter dem Titel.
Diesmal bietet der Freund des Vaters Daniel weder Kaffee noch Bouletten-Tee, sondern Sliwowitz an, den er vom Wandern in den slowenischen Alpen mitgebracht haben will.
Schwarzgebrannter, erklärt er, als würde der Schnaps dadurch besser, aus altem Partisanenland.
Er schüttet zwei Gläser voll und schiebt eines über den Tisch, Daniel nippt nur kurz, spürt fast sofort, wie der Alkohol in die Blutbahn, den Körper eindringt – auch eine Form der Inbesitznahme durch etwas Fremdes. Eine berauschende Wirkung, denkt Daniel, die sich nur einstellt, weil das Herz schlägt, denn wenn das Herz nicht mehr schlägt, denkt er, weil sein Herz schlägt, stellt sich überhaupt nichts mehr ein.
Unsicher blickt er dem Freund des Vaters ins Gesicht, ins verhärmte, irgendwie ausdruckslose Gesicht.
Warum wohne der Vater eigentlich allein?
Er habe auch allein gewohnt, bis er mit seiner Freundin zusammengezogen sei, antwortet Beule.
Und ich dachte, Anarchos wollten immer Gesellschaft.
Solange sie uns nicht auf die Nerven geht, die Gesellschaft, sagt Beule, grinst und schenkt sich nach.
Außerdem seien sie nie Anarchos gewesen.
Sondern?
Der andere zuckt mit den Achseln, nippt an seinem Glas und beginnt, sich eine Zigarette zu drehen. Noch etwas,was Daniel nicht leiden kann. Die Fingerkuppen des Mannes haben die Farbe von Tabaksud.
Warum heißt er eigentlich Beule?
Der Freund des Vaters zögert, tut so, als rede er nicht gern, als sei seine Vergangenheit ein großes Geheimnis, als müsse er konspirativ mit seiner Geschichte umgehen, erzählt dann aber doch, dass sie in ihrem Haus, ihrem besetzten Haus, er schiebt ein, dass sie eine Räumung befürchteten, sich vor Räumung schützen mussten, eine Hängestahltür eingebaut hätten, und er, weil er der Längste gewesen sei, immer gegen den Rahmen gerannt sei.
Und seine Kumpels hätten das witzig gefunden?
Zumindest fanden sie's passend.
Unvermittelt wechselt Daniel das Thema, sagt, dass sie es sich überlegt hätten, in Fils Wohnung einziehen wollten, und schiebt dann, genauso unzusammenhängend, die nächste Frage hinterher: Warum Fil den Freund vier Jahre lang durchgefüttert habe?
Wieder tut Beule, als sei er zu Verschwiegenheit verpflichtet, als sei sein Leben ein dunkles, großes Rätsel.
Ich hatte einen Haftbefehl.
Einen Haftbefehl?
Du bist aber neugierig.
Mein Vater hat vier Jahre Unterhalt an dich gezahlt, da habe ich doch wohl das Recht, etwas über dich zu erfahren.
Sie hätten Supermärkte geplündert.
Sie hätten was?
Sie hätten Plünderungen organisiert, hätten die Adalbertstraße dicht gemacht und den Plus aufgebrochen, die Supermarktkette; sie hätten die Geschäfte aufgeknackt, damit man die Sachen herausholen konnte.
Daniel macht ein verlegenes Gesicht. Das hat der Vater gemacht? Deswegen hatte er keine Zeit?
Sie hätten es nicht wegen des Geldes getan, fährt der Freund des Vaters fort, sondern um andere Leute zum Plündern zu animieren, es gebe zu viele Leute, die sich nicht leisten könnten, was sie brauchten, also müsse man dafür sorgen, dass sie es sich holen könnten. Die einfachen Leute stellten die Produkte her, also gehörten diese auch den einfachen Leuten.
So einfach sei das mit den einfachen Leuten? fragt Daniel ironisch, aber Beule geht nicht auf die Bemerkung ein.
Und die Polizei?
Daniel sagt ganz bewusst nicht »Bullen«, es käme ihm anbiedernd vor.
Deswegen hätten sie Barrikaden gebaut, hätten sie immer zu dreißigst angefangen, die Straßen dicht zu machen, damit die Büttel nicht durchkamen. Der Rest habe sich dann spontan gefunden, es hätten immer Anwohner mitgemacht, und das sei genau das gewesen, was sie erreichen wollten:
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