Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
gewachsen sei.
Die Kaffeemaschine spuckt, in diesem Fall gegen die Schwerkraft, Wasserdampf, im Durchlauf erhitztes Wasser, in den Papierfilter, der sich in dem Maß, wie das Papier die Flüssigkeit aufsaugt, dunkel, kackbraun verfärbt. Conny fragt nach Fils Zustand, den Chancen einer Transplantation, aber Daniel will nicht über die Krankheit sprechen, er will wissen, warum sein Kontakt zum Vater abriss, als er neun war, ob es wirklich nur an Fil lag, es nicht vielleicht noch eine andere Erklärung gibt, ob es stimmt, was der Vater im Brief angedeutet hat: dass es Conny nicht gern sah, wenn Daniel nach Berlin fuhr.
Ich meine, er hat mich ein paar Mal hängen lassen, aber wirklich gleichgültig war er doch nicht. Er hat doch immer wieder Karten geschickt, richtig vergessen hat er mich nicht.
Sie zögert, als müsse sie überlegen. Als wolle sie nicht überlegen. Hinter dem Küchenschrank verschanzt, schiebt sie Tassen hin und her, erwidert schließlich, dass der Vater nur sichselbst gesehen, immer tausend andere Dinge im Kopf gehabt habe, in Fils Leben offensichtlich kein Platz für ein Kind gewesen sei, dass all das Daniel nicht gutgetan habe.
Er ist in seinem Chaos versunken, sagt sie.
Aber Daniel entgegnet, dass er in der Wohnung des Vaters war – ohne zu erwähnen, dass er dort einziehen will –, dass er sich genau in der Wohnung umgesehen habe, dass diese alles andere als einen chaotischen Eindruck mache.
Die Mutter zuckt mit den Achseln.
Ob sie wisse, fährt er fort, dass der Vater die letzten Jahre als Buchhalter gearbeitet habe. Das wirke alles nicht wie ein ungeordnetes Leben, er frage sich, was das überhaupt für ein Leben gewesen sei. Er habe einen Freund des Vaters kennengelernt, Beule, kennst du Beule?, sie schüttelt den Kopf, der Freund habe vom Vater erzählt.
Ob sie wisse, womit Fil seine Freizeit verbrachte.
Wieder verneint sie.
Sie hätten Supermärkte aufgebrochen, damit andere sie ausräumen konnten, sagt er, das passe alles nicht zusammen, eine Wohnungseinrichtung wie aus dem IKEA -Katalog und dann so ein Leben.
Die Mutter dreht sich zu ihm hin, klammert sich an eine ihrer Teedosen, macht eine hilflose Geste, sagt: Das ist zwanzig Jahre her.
Du sagst, er sei unzuverlässig gewesen, er habe sich um niemanden gekümmert, ein Individualist, der nur für sich selbst da war. Aber Beule, Daniel gestikuliert wild mit den Händen, dieser Freund sagt, Fil habe ihn vier Jahre lang durchgefüttert, habe vier Jahre lang Geld für ihn besorgt.
Dass das ungefähr zu der Zeit war, als er selbst geboren wurde, spricht Daniel nicht aus; kann er nicht aussprechen.
Hat der Vater eigentlich jemals Unterhalt gezahlt?
Sie erinnert sich nicht. Zwischendrin vielleicht schon, antwortet sie unbestimmt, das sei sehr lange her.
Wenn er einfach ein Schwein gewesen wäre, sagt Daniel. Aber er war offensichtlich kein Schwein.
Fil konnte keine Beziehungen führen, erwidert die Mutter.
Mit uns konnte er vielleicht keine Beziehung führen.
Sie sei auf jeden Fall froh gewesen, als er nicht mehr nach Berlin gefahren sei. Der Vater habe ihm nicht gutgetan.
Also stimmt es, denkt Daniel, was im Brief stand, die Mutter hat es unterbunden, sie wollte es nicht.
Wieso nicht gutgetan?
Und sie antwortet, dass er immer sehr durcheinander von den Besuchen zurückgekommen sei.
Die Wohnung: an der Wand der Kalender der Bildungseinrichtung, bei der Conny seit einer Ewigkeit arbeitet, ein aus dem Urlaub mitgebrachter Wandteppich, die Tontiere, die Daniel als Kind geformt hat und die es bis heute nicht aus der Wohnung geschafft haben: eine Giraffe mit brüchigem Hals, ein blau gestreifter, schiefmäuliger Tiger. Daneben einige mundgeblasene Thüringer Gläser, die Fernsehzeitung, ein paar Bestseller. Und wenn es nun umgekehrt war? Dass man dieses Leben nicht ertragen konnte, dass dieses Leben einem nicht guttat?
Hat sie den Vater überhaupt gekannt? fragt er. Sie habe doch selbst immer betont, dass sie nie zusammen waren.
Der Kaffee erreicht die obere Markierung der Kanne, braunes Kaffeewasser schwappt gegen das gräuliche, von einem Kalkfilm überzogene Glas, und Daniel erinnert sich an Steffens Behauptung, dass die Kaffeekultur erst mit den Italienurlauben der Deutschen Einzug in die heimischen Haushalte gehalten habe. In die Reihenhäuser vielleicht, denkt er, aber nicht in die Sozialbausiedlungen.
Er reibt sich die Schläfen. Er ist früh aufgestanden, um den Zug zu nehmen, er ist erschöpft von der
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