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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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Rumänien in die Schuldenfalle gelaufen. Am Ende habe man nur auf dem Land nicht gefroren, fährt sie fort, nur dort nicht, wo man Holz verfeuern konnte, überhaupt sei es den Leuten auf dem Land vergleichsweise gutgegangen, den Hirten zum Beispiel, sie hätten ihre Schafe in den Bergen gehabt, niemand habe so genau gewusst, wie viele, und hätten mit Fleisch handeln können, mit Fellen, solchen Leuten sei es gar nicht so schlecht gegangen. Und dann erzählt sie vomPersonenkult um den Vorsitzenden Ceauşescu und seine Frau Elena, ihre Bilder seien omnipräsent gewesen, in jedem Klassenzimmer, auf jeder Zeitungsseite, Vater und Mutter der Nation, der Kult sei so extrem gewesen, dass die Leute auch nach Ceauşescus Sturz, als dieser schon in einer Garnison festgesetzt war, die Soldaten selbst hätten nicht so recht gewusst, ob der Diktator verhaftet gewesen sei oder beschützt werden sollte, Angst vor seiner Rückkehr hatten, sich einfach nicht vorstellen konnten, dass Mutter und Vater der Nation einfach nicht mehr da sein sollten. Deswegen habe man die beiden kurzerhand in einem Geheimprozess vor einem Militärgericht verurteilt und hingerichtet. Die Bilder seien danach im Fernsehen zu sehen gewesen.
    Es war wie Vatermord.
    Auch die Überwachung, fährt sie fort, sei ganz anders gewesen als in der DDR , viel extremer. Manche Leute hätten versucht, sich der Kontrolle zu entziehen, hätten sich zurückgezogen, seien in die Berge gegangen, denn die Hütten seien der einzige Ort gewesen, wo man einigermaßen offen sprechen konnte, doch genau dieses Verhalten habe einen noch verdächtiger gemacht, und so sei man ohne jedes Zutun zum Oppositionellen geworden, jedes spontane Gespräch zur subversiven Gefahr, dabei habe es im Grunde gar nichts zu bespitzeln gegeben, denn das, was man Opposition nannte, habe vielleicht Bücher gelesen, nicht ganz eindeutige Gedichte geschrieben, sonst aber nichts gemacht.
    Eigentlich naheliegend, dass man dabei zum Alkoholiker wird, merkt er an, aber sie geht nicht darauf ein.
    Als sie den Wagen erreichen, lässt Ela die automatische Verriegelung aufspringen. Ein Geräusch, das nicht so recht zuihrer Unterhaltung passen will; ein Geräusch aus einem anderen Jahrtausend.
    Ob sie sehr gelitten habe, fragt er, in der Diktatur.
    Gelitten? Sie lacht auf, nein, gar nicht, als Kind machten einem viele dieser Dinge ja Spaß: Pionierlager, Gemeinschaftsveranstaltungen, Zeremonien.
    Sie startet den Motor. Eigenartig, stellt Daniel fest, eigenartig, dass du danach von Politik nicht die Schnauze voll hattest, nach Rumänien, dem Kommunismus.
    Ob das Kommunismus war, sie legt den Kopf zur Seite, mit Politik auch nur das Geringste zu tun hatte, wisse sie nicht, eigentlich sei es doch das genaue Gegenteil gewesen, sei Rumänien doch das Ende jeder Politik, jeder Gemeinschaft gewesen. Sicher, er habe recht, die meisten Übersiedler seien bei der CDU gelandet, bei den Landsmannschaften, vielleicht sei es bei ihr einfach deshalb anders gewesen, weil sie erst dreizehn, ihr Bild von der Welt noch nicht gefestigt war und sie nach Kreuzberg kam, nicht nach Reinickendorf oder Passau, oder weil die Mutter mit ihrem Dissidentenstatus ein so jämmerliches Bild abgab, dass auch der Antikommunismus wie ein Schreckgespenst erschien, auf jeden Fall habe sie Begriffe wie Politik, Revolution, Kommunismus nie mit Rumänien assoziiert.
    Wir hörten Punk, wir verweigerten uns, wir entschieden alles zusammen, sagt sie, das sei genau das gewesen, was in Rumänien unmöglich war.
    Und Daniel denkt: Zusammen etwas entscheiden? Wann hat er das je erlebt? Jeder hat Angst, auf der Strecke zu bleiben, macht unbezahlte Praktika, arbeitet bis spät in die Nacht, identifiziert sich mit seiner Firma, die ihn bei der nächsten Gelegenheit entlassen wird. Nach Feierabendkauft man Klamotten, wirft Drogen ein, surft durchs Internet oder macht Sport, um nicht alt zu werden. Aber trotz aller Aktivität bleibt man dabei antriebslos; als lebe etwas Fremdes durch einen selbst. Etwas Gemeinsames machen.
    Ich habe die Reise nicht gemacht, denkt er plötzlich, um etwas über Fil, sondern um etwas über mich zu erfahren. Mein fremdes eigenes Leben.
 
    Am nächsten Morgen, noch fällt die Sonne nicht ins Zimmer, ist noch nicht über das gegenüberliegende Hausdach gestiegen, erklärt Michaela, dass sie aufs Land fahren muss; ein Übersetzer-Job, für einen Ausländer dolmetschen, der sich in einem Karpatendorf einkaufen will, nach einem Ort sucht, um

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