Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
suchen nach Verwertbarem.
Erinnert an eine Mondlandschaft, sagt sie.
Eher an eine Mars landschaft, antwortet er.
Die Abraumhalde hat die Farbe von Schwefel, Orangensaft, getrocknetem Blut.
Und die? Daniel zeigt auf die Kinder.
Sie suchten nach Recyclingteilen, erklärt die Frau, sie vergifteten sich, der Boden sei hochkontaminiert.
Sie zieht eine Packung Lucky Strike aus der Tasche und steckt sich eine Zigarette an, als wolle sie Morbidität in Anbetracht von Morbidität unter Beweis stellen. Zum ersten Mal sieht Daniel sie rauchen, anrauchen gegen eine Gesundheit, die verloren ist, den Qualm tief in die Lunge drücken.
Ich habe Durst, stellt er zusammenhangslos fest.
Du musst rauchen, antwortet sie. Wenn du rauchst, geht der Rostgeschmack weg.
Er geht zum Wagen, um die Saftflasche zu holen, die er an der letzten Tankstelle gekauft hat. Als er zurückkommt, legt sie ihm die Hand auf den Unterarm – als wolle sie verhindern, dass er davonläuft.
Und? Wie gefällt dir unser schönes Rumänien? Wirst du hier studieren?
Er hat noch nicht richtig darüber nachgedacht.
Sie mustert ihn, als wolle sie jetzt endlich sein Geständnis hören, als wisse sie bereits, wer er ist, als wolle sie ihm die Gelegenheit geben, die Wahrheit zu sagen. Aber er traut sich nicht, wagt nicht, Fils Namen auszusprechen, steckt in seiner Rolle schon viel zu sehr fest. Elias.
Welche Fächer studiert er noch einmal?
Französisch, Deutsch und ein bisschen Geschichte.
Und warum auf Lehramt?
Er wollte etwas Sicheres.
Und sie dachte, an deutschen Schulen liefen ständig Jugendliche Amok und knallten ihre Lehrer ab.
Besser als Kaffee verkaufen, antwortet Daniel, oder Buchhaltung machen.
Sie nickt, wirft ihre Zigarette auf den Boden und geht zum Wagen zurück.
Sie hat ihn durchschaut, sie weiß, dass er lügt, zumindest weiß sie, dass er nicht wegen des Studiums hier ist.
Sie steigt in den Wagen, startet den Motor und wendet.
Bevor sie auf die Straße zurückrollt, bremst sie und stößt die Beifahrertür auf. Als sei sie noch nicht fertig mit ihm.
Irritiert, von einem schlechten Gewissen geplagt, trottet Daniel zum Wagen.
Ihr Reiseziel liegt noch fünfzig Kilometer entfernt, von der Minenstadt durch mehrere Bergzüge getrennt, hinter einem Höhenpass, in einer schon fast alpin anmutenden Landschaft. Der Österreicher, der krebskranke Mann, der Ausländer, den sie hier treffen wollen, der nach einem Ort sucht, um die letzten Monate seines Lebens in Abgeschiedenheit zu verbringen, wartet am Straßenrand, steht vor einem Holzverschlag und wärmt seine Hände an einer Kaffeetasse, denn hier oben in den Bergen ist es kalt, fällt ein überraschend kühler Wind von den Hängen. Ela begrüßt den Mann, wechselt ein paar Sätze mit ihm, die obligatorischen Vorstellungs- und Begrüßungsfloskeln, dann betreten sie zu dritt den Holzverschlag, einen kleinen Laden, eine Art Kiosk. Die Tische sind mit rissigen, blümchengemusterten Wachsfolien überzogen, auf der Eckbank hocken zwei Bauern, beugen ihre Oberkörper über den Tisch, stieren leer vor sich hin. Michaela bestellt Kaffee, der nur ein paar Cent kostet, dessen Preis seit dem Sturz Ceauşescus nicht angehoben worden zu sein scheint, und bekommt pastellgrüne, an der Seite angeschmorte, leicht verformte Plastiktassen über den Tresen geschoben. Wie der Österreicher klammert sich nun auch Daniel an die dampfende Tasse; betrachtet durch die Tür, wie sich ein Pferdegespann unter den anfeuernden Rufen der Waldarbeiter den Hang hinunterkämpft, wie Haflinger mächtige Baumstämme an Metallketten hinter sich her schleifen, und denkt, dass in dieser Gegend, dieser alpin anmutenden Landschaft, die Zeit jetzt wirklich stehengeblieben ist, sich seit hundert Jahren nichts geändert hat.
Eine reichlich naive Annahme, wie sich herausstellen soll.
Der Kranke, schon etwas älter als Fil, vielleicht Anfang sechzig, spricht starken Wiener Akzent, wie dieser Schauspieler,denkt Daniel, wie der gescheiterte Ex-Kommissar in diesem Rettungsfahrer-Krimi, den er mit den Freunden in Berlin, mit Steffen, Faruk und Fred einmal zu Hause als DVD gesehen hat, Pizza, ein paar Bier, Gras, Daniel hat nicht mitgeraucht, und bemerkt erst dann, wie passend-unpassend die Assoziation ist: Komm, süßer Tod .
Sie trinken den Kaffee aus, stellen die pastellfarbenen Plastiktassen zurück auf den Tresen, gehen zu einer Wiese hinüber, an dem Pferdegespann, dem späten 19. Jahrhundert, den sich gegen das
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