Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
achtziger Jahren einmal bunt vorgekommen sei. Aber für sie sei die Stadt grell gewesen, fast schon überladen.
Und wie habe sie Anschluss gefunden?
Die meisten in der Schule hätten damals komische Frisuren gehabt, erzählt sie. Lange Mähnen, gefärbte Haare, Irokesen. Zuerst sei ihr das unheimlich gewesen, dann habe es ihr zu gefallen begonnen. In der Nähe ihrer Wohnung habe es einige besetzte Häuser gegeben, in der Stadt habe es damals Hunderte von besetzten Häusern gegeben, und dort habe sie Freunde gefunden.
Ich war vierzehn, sagt sie, es gab dort oft Konzerte, es waren die Jahre des Punk.
Häuser, denkt Daniel, wie das in der Cuvrystraße. Warum sind sie sich dort nie begegnet? Weil er nur in den Ferien nach Berlin kam und sie dann immer verreist war? Oder erinnern sie sich bloß nicht aneinander? Daniel war als Kind ein bisschen dick, ein bisschen zu wohlgenährt, mit der Pubertät hat er sich sehr verändert, alle sagen das. Aber warum erinnert er sich nicht an sie? Sie sieht ähnlich aus wie auf den Fotos, Fils wenigen Bildern. Haben sie wirklich nie etwas zu dritt unternommen?
Er fragt: Du durftest mit vierzehn in besetzten Häusern rumhängen?, und denkt:
Meine Mutter war froh, dass ich ab 1994 nicht mehr so viel Zeit in der Cuvrystraße verbrachte.
Die Mutter, antwortet Ela widerstrebend und sachlich, hat in erster Linie gesoffen.
Sie muss sich sammeln, bevor sie weiterspricht, weitersprechen kann: dass die Mutter gebrochen gewesen sei, als siein den Westen kamen, dass sie selbst das erst später, viele Jahre später begriffen habe, dass sie damals nur sah, wie die Mutter trank, Tabletten nahm, sich als Dissidentin auf Empfängen herumreichen ließ, was sie, was Ela anwiderte. Sie habe geglaubt, die Mutter komme in der Fremde nicht klar, finde sich nur in der einfachen Ceauşescu-Welt zurecht, wo man verfolgt wurde, gleichzeitig aber das tägliche Leben organisiert bekam, wo es Schwarz und Weiß gab, die Mutter sei zu wenig initiativ gewesen, zu unselbständig, zu selbstmitleidig, um sich im Westen etwas aufbauen zu können, sie habe sie verachtet, erst später begriffen, was mit der Mutter geschehen war, eine lange Geschichte, eine Geschichte, die sie jetzt nicht ausbreiten wolle, auf jeden Fall sei die Mutter mit sich selbst beschäftigt gewesen und so habe Ela ihre Zeit verbringen können, wo und wie sie wollte.
Sie war froh, dass sie sich nicht um mich kümmern musste. Ich war froh, wenn ich sie nicht sah.
Familie ist die Hölle, erinnert sich Daniel.
Ela nippt an ihrem Bier und schiebt die Flasche dann energisch beiseite, als wäre das Teil der Erinnerung.
Als sie zum Wagen zurückgehen, verschwimmen die Straßenfluchten, verzerren sich die sanierten, nicht sanierten, auf die Wiederaufnahme der Sanierungsmaßnahmen wartenden Gebäude zu einem kubistischen Bild. Das Quietschen einer Metall- oder Steinsäge dringt herüber, schrill oder dumpf, das kann Daniel nicht sagen, und obwohl ihm das Reden nicht leichtfällt, Michaela nicht aussieht, als wolle sie weitererzählen, stellt er eine nächste Frage:
Wie das Leben vorher, in Rumänien gewesen sei, ob sie sich daran erinnere.
Sie kommen an einer Baustelle vorbei, es riecht nach feuchtem Mörtel, nur langsam trocknendem Gemäuer, provisorisch, überraschend kühl, und Ela antwortet: dass Ceauşescu-Rumänien einzigartig gewesen sei, unvergleichbar, viel erdrückender als die DDR , ein absurdes Regime, stalinistischer Feudalismus. Daniel versteht nicht, und sie schiebt den Begriff Modernisierungsdynastie hinterher, aber er versteht noch weniger. Es habe riesige Prestigeobjekte gegeben, erklärt sie, den Volkspalast in Bukarest, den Donaukanal, gigantische Trabantenstädte, und gleichzeitig seien die Leute ohne eigenen Garten kaum über die Runden gekommen, im Winter habe man oft gefroren, als die Kohle knapp wurde, damals in den achtziger Jahren, aber das hätten ihr nur Verwandte erzählt, damals sei sie schon im Westen gewesen, denn das Land sei wegen der Großprojekte stark im Westen verschuldet gewesen, habe alles exportieren müssen. Ceauşescu, sagt sie, sei vor allem ein Nationalist gewesen, habe sich als Patriot gegeben, um Unabhängigkeit gegenüber Moskau bemüht, sei er nach Nordkorea gereist, habe den rumänischen Sonderweg inszeniert, und weil der Westen in erster Linie die Sowjets besiegen wollte, habe man zu Ceauşescu gute Beziehungen gepflegt, den Despoten mit Westkrediten überhäuft, und so sei das Land, sei
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