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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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habe nicht in ihren Sachen herumschnüffeln, setzt er fort, ihre Gastfreundschaft nicht missbrauchen wollen, habe nur am Morgen plötzlich gedacht, dass er bei ihr vielleicht einen Hinweis, einen Brief von Fil finden könnte, irgendetwas, das erkläre, wie der Vater zu ihm stand, er müsse diese Geschichte endlich verstehen, habe gedacht, er könnte hier, bei ihr Antworten finden, es tue ihm leid, wirklich sehr leid.
    Kraftlos sieht sie aus, zerschlagen, als holten sie mehrere Geschichten gleichzeitig ein, als arbeite die Erinnerung in ihr.
    Raus! schreit sie.
    Raus aus meinem Zimmer!
    Er rutscht Richtung Tür, weg von Ela, der Plastikröhre, die immer noch drohend in ihrer Hand liegt.
    Er sei nach Berlin gezogen, um den Vater zu sehen, redet er weiter, obwohl er nicht weiß, ob sie überhaupt noch zuhört, um ihn mehr zu sehen, unbewusst sei das der eigentliche Grund gewesen, er wollte verstehen, wie Fil ist, wollte ihn ausfragen, aber dann sei der krank geworden, die Lunge verhärte sich, er bekomme nicht mehr genug Luft, und es sei keine Zeit mehr gewesen, mit ihm zu sprechen. Jetzt hänge er, hänge Fil an Maschinen, sie bereiteten eine Transplantation vor, der Vater sei nur noch ein lebender sterbender Körper unter einem dünnen Laken, er müsse wissen, wer der Vater ist, der Vater war, aber wen sollte er fragen?
    Ich musste etwas über ihn erfahren, sagt er, aber ich wusste nicht wie, du warst meine einzige Hoffnung, aber ich konnte dir das nicht erklären.
    Sie antwortet nicht.
    Eine Lunge und ein Herz, sagt er und rutscht zur Tür hinaus.
 
    Als er eine Viertelstunde später mit der Reisetasche auf der Schulter in die Küche tritt, um sich zu verabschieden, fühlt er sich krank, hat er den Eindruck, eine fremde Rolle zu spielen, die die eigene ist. Michaela steht am Herd, rührt Instant-Kaffee in heißes Wasser. Zischend diffundiert das Pulver in der Flüssigkeit.
    Es war saublöd von mir, sagt er leise, fast stimmlos.
    Sie lässt den Löffel kreisen, Metall schlägt gegen Porzellan.
    Doch als er gehen will, die Klinke herunterdrückt, die Tür aufstößt, bedeutet sie ihm zu bleiben.
    Seit wann, fragt sie, seit wann Fil krank sei, wie seine Chancen stünden.
    Und Daniel wiederholt seine Litanei. Dass siebzig Prozent das erste Jahr nach der Transplantation überlebten, wenn es denn zu einer Transplantation komme, aber dass man das Immunsystem ausschalten müsse, jede Grippe lebensgefährlich werde, man dafür sorgen müsse, dass der Körper das fremde Organ nicht abstoße, denn der Körper könne nur gerettet werden, wenn man ihn daran hindere, sich zu schützen, und genau das mache ihn unendlich verletzlich. Seit drei Wochen liege der Vater im Koma, seit drei Wochen warte er auf das Körperteil, das ihn retten solle, auf das Fremde im Eigenen. Daniel habe von der Krankheit bis vor Kurzemnichts gewusst, aber der Vater habe sich offensichtlich schon länger auf eine Transplantation vorbereitet, habe ein Buch darüber gelesen, ein Buch, das Daniel kaum verstand.
    Ela bleibt beim Herd stehen, reglos – vielleicht, weil sie sich an Fil erinnert, vielleicht auch nur weil ihr bewusst wird, dass nun das Alter der schweren Krankheiten beginnt, das Alter, in dem die ersten Freunde sterben.
    Er war ein guter Typ, sagt sie schließlich – bevor er ein Arsch war.
    Dann lässt sie den Blick an Daniel herabwandern.
    Als Kind hast du anders ausgesehen.
    Er versteht nicht.
    Sie hätten ein paar Mal etwas zu dritt unternommen, nicht sehr oft, fügt sie nachdenklich hinzu.
    Wie oft? fragt er.
    Vielleicht fünf Mal.
    Was haben sie gemacht?
    Er zieht die Tür wieder zu, bleibt auf der anderen Seite des Raumes stehen, die Reisetasche zieht an der Schulter.
    Was man mit Kindern so mache. Sie seien im Kino gewesen, seien Schlittschuh gelaufen.
    Und warum nicht öfter?
    Fil habe nicht so gern etwas zu dritt gemacht.
    Glaubt sie, er sei dem Vater peinlich gewesen?
    Peinlich? Sie scheint die Frage nicht zu verstehen.
    Im Gegenteil, sagt sie schließlich, Fil habe stolz gewirkt, einen Sohn zu haben, nicht viele hätten damals Kinder gehabt, es hätten immer Bilder von Daniel in seinem Zimmer gehangen.
    Was könnte dann der Grund dafür sein, dass sie sich kaum gesehen haben?
    Sie lehnt sich an die Küchenablage, überlegt, setzt zu einer Erklärung an: Sie sei Anfang zwanzig gewesen, habe wirklich keinen Kinderwunsch gehabt, aber dass Fil sich so wenig um seinen Sohn gekümmert habe, hätte sie scheiße gefunden, hätte sie ihm

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