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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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und streckt den Rücken durch, als wollte sie sich gegen die Geschichte anstemmen.
    Ja, das habe sie sich auch gedacht: warum sollte man einem Kind etwas vorspielen, und deswegen sei sie den Vater trotzdem suchen gegangen; obwohl sie wusste, dass er die Mutter ausspioniert, die Mutter verraten hatte. Sie sei mit Fil nach Bukarest gefahren, es habe im Dorf, dort, wo die Mutter herkomme, eine Familie gegeben, die die Adresse des Vaters hatte, zumindest eine ältere Adresse hatte, und so hätten sie sich auf den Weg in die Hauptstadt gemacht, die damals, kurz nach der Wende, nach dem Sturz des Ceauşescu-Regimes, einen verwirrenden, grauen, heruntergekommenen Eindruck machte. Der Vater habe in einer Trabantenstadt gewohnt, einer jener Plattenbausiedlungen, die das alte Regime in den achtziger Jahren hochgezogen hatte, um Staatsfunktionäre bei Laune zu halten, Hochhäuser, in denen es an Warmwasser nie fehlte, es sei denn, das große Heizkraftwerk war heruntergefahren. Der Vater habe also in einer eigentlich privilegierten Vorstadtsiedlung gewohnt, die bei Elas Besuch Mitte der neunziger Jahre aber trotzdem einen ziemlich trostlosen Eindruck machte, einen sehr viel trostloseren Eindruck als Marzahn oder Hohenschönhausen gemacht habe, und sie hätten lange gebraucht, um den Wohnblock zu finden, in dem der Vater wohnte, seien einen ganzen Morgen lang mit dem Wagen durch die Straßen gekreuzt, die alle gleich aussahen, und hätten das Haus gesucht, seien schon überzeugt gewesen, die Adresse, die man ihnen im Dorf gegeben hatte, sei falsch. Doch schließlich hätten sie den richtigen Block, den richtigen Aufgang gefunden, es habe keine Gegensprechanlage gegeben, auch der Aufzug habe nicht funktioniert, und plötzlich habe Ela behauptet, keine Lust mehr zu haben, sei es ihr lächerlich vorgekommen, auf gut Glück die elf Stockwerke hinaufzulaufen, um dann niemanden vorzufinden oder einen Fremden zu treffen, der für die Herrschenden gearbeitet, der für die Herrschaft sogar sein Kind verlassen hatte, für ein total kaputtes Regime. Aber Fil habe sie aus dem Auto gezogen, habe gesagt, dass er ihr Familiengequatsche nie ertragen habe, es keinen Grund gebe, einem biologischen Erzeuger nachzuweinen, der sich erwiesenermaßen wie ein Arschloch verhalten habe, dass sie jetzt aber hierher gekommen, über 2000 Kilometer herumgegurkt seien, durch den Wilden Osten Europas, damals sei Rumänien ja wirklich noch der Wilde Osten gewesen, und jetzt nicht einfach unverrichteter Dinge wieder abziehen könnten; man sei hier, also werde man dieSache auch zu Ende bringen. Er habe sie also aus dem Auto gezerrt, an den Achselhöhlen gekitzelt und vor sich in den Hauseingang geschoben, habe bekräftigt, dass sie diesen Besuch als therapeutische Maßnahme betrachten solle, die sie von jeder Familienideologie heilen werde, und so seien sie die Treppe hinaufgestiegen, elf Stockwerke, langsam und mit schweren Füßen. Obwohl sie sich schweineelend fühlte, habe sie gekichert, weil Fil sie von hinten kitzelte, und gehört, wie der Freund gespielt debil vor sich hinsummte: »Familienbesuch, Familienbesuch, damit Ela ein für alle Mal geheilt ist.«
    Und, sei sie geheilt geworden, fragt Daniel.
    Es sei sehr eigenartig gewesen, sagt sie nach einer längeren Pause, kaum zu beschreiben. Sie seien im elften Stock angekommen, hätten auf das Namensschild geschaut, das tatsächlich mit Elas Nachnamen übereinstimmte, denn sie habe zu dieser Zeit absurderweise immer noch den Namen des Vaters getragen, seien sich also sicher gewesen, dass ihr Vater tatsächlich dort wohne. Sie habe sich aber nicht gleich zu klopfen getraut, sie hätten vor dieser Kunststofftür gestanden, die nicht richtig im Türrahmen saß, am Ende habe es der feudalistisch-sozialistische Plan nicht einmal mehr hinbekommen, korrekt vermessene Kunststofftüren herzustellen, es habe schlimm nach Essen gerochen, im ganzen Treppenhaus ekelhaft nach Weißkohl gestunken, und erneut habe Fil sie drängen müssen: 2000 Kilometer, habe er gesagt, danach bist du geheilt. Sie habe zunächst geklopft, erzählt sie, weil sie dachte, die Klingel funktioniere nicht, aber immerhin die sozialistisch geplante Klingel habe noch funktioniert, wie sich einen Moment später herausstellen sollte, sie hätten Schritte gehört, und Ela habe den Vater schonvor sich gesehen, so wie auf den Fotos, jung und in zu engen Kunststofftextilien, aber schließlich habe nicht der Vater die Tür geöffnet, sondern eine fremde

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