Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
Frau, wie früher der Vater in zu engen, ziemlich schrillen Kunststofftextilien, aber anders als der Vater auf dem Foto nicht jung, sondern etwa fünfzig und ein bisschen fett. Die rumänische Frau habe sich sehr erschrocken, habe zumindest ziemlich erschrocken ausgesehen, als sie Fil und Ela so vor sich stehen sah, man müsse das verstehen, Ela habe damals ein Zungen-Piercing gehabt, Fil einen Ohrring, außerdem hätten sie keine sozialistischen Kunststofftextilien getragen, sondern dunkle Jeans und mit Parolen bedruckte T-Shirts, das alles habe in Rumänien damals sehr ungewohnt gewirkt, und so habe die Frau die Tür gleich wieder zumachen wollen. Doch Ela habe wie aus der Pistole geschossen nach dem Vater gefragt, sich in einem Rumänisch mit deutschem Akzent nach dem Vater erkundigt, und die Frau habe dann etwas Eigenartiges getan: Sie habe genickt, aber die Tür wieder geschlossen, einfach vor Elas und Fils Nase wieder zugemacht. Fil habe daraufhin auf die Klingel gedrückt, die, wie sie merkten, doch funktionierende Klingel, er habe Sturm geläutet, und so sei die Tür ziemlich schnell wieder aufgegangen, und diesmal sei der Vater im Türrahmen erschienen: stark gealtert, in einem Kragenhemd, mit mittlerweile schütterem Haar.
Sie sei Michaela, habe sie gesagt, ob er sich erinnere, Michaela aus Sibiu, seine Tochter.
Und der Vater, fragt Daniel, was habe der Vater geantwortet?
Er habe im Türrahmen gestanden, stumm genickt, die Tür weder richtig auf- noch richtig zugemacht. Sie sei ausDeutschland gekommen, habe sie weitergeredet, weil sie wissen wollte, was der Vater mache, wie es ihm gehe, und der Vater habe langsam ihren Namen wiederholt, M-I-C-H-A-E-L-A , erst deutsch, dann rumänisch, als müsse er sich erinnern, diese Geschichte erst aus einem abgelegenen Winkel des Gedächtnisses aufrufen. Er habe die Tür immer noch nicht geöffnet, sie immer noch nicht hereingebeten, also habe sie weiter gesprochen: dass sie in Deutschland aufgewachsen sei, wie er sicher wisse, dass sie Sozialarbeit studiere, weil sie glaube, dass man Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen müsse, dass dieser Mann neben ihr, Philippe, habe sie gesagt, ihr Freund sei.
Ihr Freund, habe der Vater stumpf wiederholt, und Fil habe ihm die Hand gegeben, sie ihm so aufdringlich hingehalten, dass der Vater nicht länger abweisend im Türrahmen stehen bleiben konnte. Schließlich habe er sie also doch noch hereingebeten, seine Frau habe Kaffee zubereitet, türkischen Mokka, während sie im Wohnzimmer auf dem Plan-Mobiliar Platz nahmen, auf der stalinistischen, grau-weiß gemusterten Sitzgruppe, und die Tapete betrachteten, die ebenfalls grau-weiß gemustert war. An den Wänden hätten eine Reihe von Auszeichnungen und Medaillen gehangen, daran erinnere sie sich, Auszeichnungen für den vorbildlichen Einsatz des Vaters für das sozialistische Heimatland, darunter auch einige Urkunden mit Hammer und Sichel und rotem Stern, und Fil habe die Gelegenheit genutzt, um grinsend erst auf Englisch, dann in radebrechendem Italienisch darauf hinzuweisen, dass sie auch Kommunisten seien, sie den Kampf gegen Staat und Kapital auch mit allen zur Verfügung stehenden, legalen und illegalen Mitteln, allerdings lieber mit illegalen, führten und dem Imperialismus keine Atempausegönnen würden, das habe man sich geschworen. Der Vater, der völlig verdutzte Funktionär habe den Witz nicht verstanden und wieder nur stumm genickt, während Ela erneut das Gleiche erzählte: dass sie in Westberlin groß geworden sei, Abitur gemacht und zu studieren begonnen habe, sie schon länger nach Rumänien habe kommen wollen, aber sich erst in diesem Sommer an das große Projekt herangetraut habe. Dann habe die Frau des Vaters den Kaffee serviert, sehr süß, und sie hätten eine Weile in diesem schrecklichen Wohnzimmer gesessen, zwischen Urkunden, Bücherregal, Ceauşescu-Sitzgruppe und einem Fernseher, der bereits neu, postsozialistisch gewesen sei, bereits ein koreanisches Markenzeichen getragen habe.
Und was habe ihr Vater zu all dem gesagt, zu der Geschichte ihrer Kindheit?
Nichts habe er gesagt, antwortet sie, er habe Kaffee getrunken und versucht Small Talk zu führen, habe sich erkundigt, in welchen Fächern sie in der Schule am besten gewesen sei, ihre Großmutter sei eine große Mathematikerin gewesen, diese Fähigkeit habe sich vielleicht vererbt, habe gefragt, ob man in Deutschland mit Sozialberufen ausreichend verdiene, habe betont, dass er sich sehr
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