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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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darüber freue, wie gut ihr Rumänisch sei, und die neue Ehefrau habe hinzugefügt: ganz hervorragend. Der Vater habe knapp berichtet, dass er nach wie vor in einer staatlichen Behörde arbeite, das alte System sei zusammengebrochen, es sei nicht einfach, durchzukommen, aber es habe auch nicht so weitergehen können wie früher, das alte System, es sei am Ende gewesen, man habe einen Schnitt machen müssen, das habe die früher regierende Kommunistische Partei verstanden, die nun eine regierende Sozialdemokratische Partei sei, und er habe Hoffnung, dass das Land sich modernisieren werde. Solche Sachen habe der Vater erzählt, während Ela und Fil fassungslos an ihrem Mokka nippten.
    Als sie die Wohnung schließlich wieder verließen und die Treppe hinuntergingen, erzählt Ela, habe Fil sie in den Arm genommen und gesagt, immerhin sei der Kaffee ganz gut gewesen und nun sei sie geheilt, nun wisse sie, dass Väter nichts mit einem zu tun haben müssten, dass man sich glücklich schätzen könne, wenn man seine Väter nicht kenne oder nur oberflächlich, dass die Väter in der Evolutionsgeschichte doch sowieso irgendwie ein totes Gleis seien, ein Gleis ins Nichts. Aber sie habe sich trotzdem noch Jahre danach gefragt, ob der Vater sich so verändert hatte, dass er bei ihrem Besuch keine einzige normale menschliche Regung zu zeigen in der Lage war, oder ob die Erinnerung, in der der Vater herzlich und verständnisvoll gewesen war, sie ganz einfach betrogen hatte.
    Wieder streckt sie den Rücken durch, wieder richtet sie sich auf, als kämpfe sie gegen die Erinnerung an.
    Fil habe sich in dieser Situation albern verhalten, fügt sie hinzu, aber es habe ihr gutgetan, dass er dabei war.
    Er hat mich nicht im Stich gelassen, sagt sie.
    Mich hat er im Stich gelassen, erwidert Daniel.
    Sie zuckt mit den Achseln.
    Ja, er habe sich blöd verhalten, blöd gegenüber Daniel, später auch blöd gegenüber ihr, wie Männer sich gegenüber Frauen verhalten, doch was sie ihm hoch anrechne, sei, dass er nie ein Opportunist gewesen sei, nie seinen eigenen Vorteil verfolgt habe. Daniel könne wahrscheinlich nichts damit anfangen, aber Fil sei wirklich davon überzeugt gewesen, dass der leibliche Vater, Familie, die klassische Zweierbeziehungnicht wichtig seien, eher schlecht seien für Kinder, dass es darum gehe, Freundschaften so verbindlich wie Familienbeziehungen zu führen, frei gewählte Freundschaften anstatt familiärer Zwangsgemeinschaften, und davor habe sich der Vater nie gedrückt.
    Sie sieht erschöpft aus; erschöpft weil sie offensichtlich selten darüber spricht: ihre eigene Geschichte.
    Fil war ein Idiot, sagt Daniel nach einer Weile, in der es still, erschreckend still ist, dass er nicht mehr um dich gekämpft hat.
    Woher willst du wissen, dass er nicht um mich gekämpft hat? Warum glaubst du, es liegt an Fil?
    Aber wenn es nicht an ihm lag, woran lag es dann?
    Sie antwortet nicht. Als der Kellner an den Tisch tritt, um die Teller abzuräumen, die halbvollen Teller, die kalt gewordenen Kohlrouladen, die sie nicht mehr angerührt haben, macht sie eine Geste, als wolle sie nicht weiter über das Thema reden. Sie blickt auf ihr Handy, sie bestellen Kaffee.
 
    Außerhalb der Stadt hält sie noch einmal; an einem Waldstück, am Fuß einer kleinen Bergkette. Es riecht nach Fichtenharz, sie sagt: Wenn es schneit, werden die Wälder eisig und leer, manchmal hört man die Wölfe heulen, manchmal kommen sie auf der Suche nach etwas Essbarem bis fast in die Dörfer hinunter – wie in den Filmen.
    Sie nehmen einen Höhenweg, der am Hang entlangführt, knapp unterhalb der Baumgrenze, mit Blick über die Ebene, alles leuchtet grün, aber teilweise schon etwas ausgelaugt grün, die Sonne brennt unerbittlich, es ist hochsommerlich heiß. Daniel hat Schwierigkeiten, das Tempo zu halten, Ela ist ihm immer einen halben Schritt voraus, wirkt, als wollesie ihn loswerden, und fängt dann doch, ganz unvermittelt, wieder an zu erzählen.
    Von Fil.
    Sie habe ihn manchmal nach Daniel gefragt, habe wissen wollen, warum er nicht mehr mit seinem Kind unternehme, aber der Freund habe die Frage stets zurückgewiesen, habe Witze über ihre Kleinfamilienideologie gemacht, über den Schrecken der Vater-Sohn-Beziehung, den Terror seines Beamtenvaters, habe behauptet, dass Daniels Situation nicht mit Elas Problemen vergleichbar sei. Der Sohn sei nicht allein, habe keine saufende Mutter, keinen verschollenen Vater, den man nicht treffen könne, Fil werde

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