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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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Version stimmte nicht, souffliert Daniel, und Ela nickt, erzählt weiter. 1993 oder 1994, nicht sofort nach dem Mauerfall, dem Sturz Ceauşescus sei sie ihn suchen gegangen.
    Ich war Mitte zwanzig, wir waren mit dem Auto unterwegs.
    Die Reise mit Fil, denkt Daniel, sie waren mit dem Mercedes hier, vielleicht im selben Jahr, als Daniels Kontakt zum Vater abbrach.
    Sie hätte es früher wissen können, fährt sie fort, die Mutter hätte es ihr sagen können, doch sie habe es zufällig erfahren, habe es von einer Tante hören müssen, habe zuerst geglaubt, ihr Rumänisch sei zu schlecht.
    Sie verstummt.
    Der Vater sei auf die Mutter angesetzt gewesen, fährt sie nach einer Weile stockend fort. Als die Eltern sich kennenlernten, habe die Mutter in einer Kleinstadt studiert, Cluj, etwas nördlich von Sibiu. Sie habe sich mit Freunden getroffen, um über Bücher zu sprechen, Bücher auf Deutsch, der Vater sei später dazugekommen, von der Mutter in die Gruppe eingeführt worden. Sie hätten das Studium gemeinsam abgeschlossen, die Mutter habe als Lehrerin zu arbeiten begonnen, der Vater in einer Behörde Anstellung gefunden, jahrelang habe die Mutter nichts bemerkt, angeblich nichts bemerkt, jahrelang sei man eine ganz normale Familie gewesen, vielleicht wäre nie etwas herausgekommen, wenn die Securitate es der Mutter nicht irgendwann gesteckt hätte.
    Die Staatssicherheit wollte sie zur Mitarbeit zwingen, sie sagten ihr, dass sie sowieso alles über ihr Leben wüssten, dass sie sich über ihre Familie keine Illusionen zu machen brauche, ihre Familie sei ein Geschöpf der Partei …
    Der Vater war auf die Mutter angesetzt, erklärt sie, er habe sie nur kennengelernt, weil der Staat, das stalinistische Irrenhaus , Informationen über den Bekanntenkreis der Mutter sammeln wollte, über Oppositionelle, die keine waren, die ein paar Gedichte lasen, manche besser, manche schlechter, um darüber zu sprechen.
    Aber das heißt, wirft Daniel ein, dass deine Mutter dich nur angelogen hat, um dich zu schützen.
    Ela macht eine abwägende Geste, zögert, ja, das Verhalten der Mutter sei plötzlich in einem anderen Licht erschienen, sie habe Ela belogen, um sie vor dem Verrat des Vaters zu schützen, vielleicht auch einfach, weil sie die Wahrheit nicht ertrug, sich nicht eingestehen konnte, jahrelang betrogen, bespitzelt worden zu sein, ohne etwas zu merken.
    Die Mutter war eine trostlose Gestalt, sagt Ela, erst das Dissidentendasein und ihre Unfähigkeit, den Mann zu durchschauen, dann ihre Verlorenheit im Westen, der Alkoholismus.
    Immerhin habe sie die Mutter, fügt sie nach einer Pause hinzu, nach der Reise nicht mehr nur verachtet, sondern auch bemitleidet. Es sei allerdings ein komisches Mitleid gewesen.
    Wenn sie wenigstens behaupten könnte, die Mutter habe dieses verkorkste Leben um ihrer Ideale willen geführt. Aber der Stalinismus habe den Leuten nicht einmal Platz für Ideale gelassen, habe sich selbst der Ideale bemächtigt. Solidarität, Gleichheit, Rätedemokratie – das habe das stalinistische Irrenhaus als Ideale propagiert, nicht der Westen.
    Und wieder verstummt sie, um dann nach einer Pause hinzuzufügen, dass das Verwirrendste die Vorstellung sei, man könnte das Ergebnis eines Auftrags sein, verdanke seine Existenz nur der Herrschaft einer paranoiden Bürokratie. Die Bilder, sagt sie, passten nicht zusammen, denn sie habe ihren Vater liebevoll in Erinnerung, sanft, sehr geduldig, habe, wenn sie an ihn denke, stets die Bilder von Ausflügen vor Augen. Es war Herbst, erzählt sie, am Fuß der Karpaten leuchtete das Laub in allen Farben, im Oktober werde esoft noch einmal sehr sonnig und warm. Sie seien vor einem Bauernhaus gestanden, sagt sie, blauschwarze Trauben hätten heruntergehangen, die Luft habe süßlich nach Wein gerochen, und ihr sei etwas kaputtgegangen, ein Spielzeug, sie erinnere sich nicht genau, und der Vater habe sie auf den Schoß genommen, ihr erklärt, wie sie das Spielzeug wieder reparieren könne; er sei dabei entspannt gewesen, sehr ruhig, habe sie einfach machen lassen, ihr nur hin und wieder einen Tipp gegeben. Eigenartig, sagt sie, dieses Bild des sanften Vaters, mit dem man an einem sonnigen Herbsttag durch die Dörfer laufe, hinter einem leuchte das Laub, sei alles, was ihr von ihm geblieben sei, vom Vater, dem Spitzel.
    Ob das wohl zu seiner Rolle gehörte: verständnisvoll sein?
    Warum sollte man einem Kind etwas vorspielen? antwortet Daniel.
    Sie verschränkt die Hände im Nacken

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