Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
da sein, wenn Daniel das wolle, aber er werde sich nicht aufdrängen, eine biologische Vaterschaft, was sei das schon? Allein wegen der genetischen Verwandtschaft müssten sie noch lange kein inniges Verhältnis zueinander besitzen, außerdem sei unklar, sie sollte das nicht vergessen, wo Fil die nächsten Jahre verbringen werde.
Ela erzählt, sie habe ihm nie recht gegeben, habe immer an ihre eigene Geschichte gedacht, sich daran erinnert, wie sehr sie den Vater vermisste, aber gleichzeitig auch verstanden, was Fil meinte, wenn er vom Reihenhaus-Drama sprach, vom Beamtenvater, dem Mann mit dem silbergrauen Schlips und dem ausdruckslosen Gesicht, dessen Foto so furchteinflößend aussah. Sie selbst, erzählt sie, habe die Anti-Familien-Haltung ihrer deutschen Freunde nach ihrer Rumänien-Reise besser nachvollziehen können, obwohl ihr ihre Mutter, die sich Ende der neunziger Jahre totsoff, sehr leidgetan habe.
Sie holt tief Luft, schweigt ein paar Schritte lang und fügt dann hinzu, dass Daniel jetzt vielleicht verstehen könne,warum sie die Beziehung zwischen Fil und Daniel nicht so intensiv verfolgt habe, wie sie es vielleicht hätte tun sollen, warum sie selbst keine rechte Beziehung zu Daniel aufgebaut habe. Als er das erste Mal bei Fil in den Ferien war, er müsse vier gewesen sein, sei sie selbst noch sehr jung gewesen, gerade mal zwanzig, einundzwanzig, mit der Schule fertig; danach habe sie die Geschichte ihres Vaters beschäftigt, und schließlich hätten sie mehrere Jahre nur mit ihrem Verfahren zu tun gehabt.
Verfahren? fragt Daniel.
Sie blickt ihn an, erstaunt darüber, dass Beule ihm nicht davon erzählt hat, dann setzt sie an: Fil habe damals einen guten Freund gehabt, noch aus den frühen achtziger Jahren, er habe sich Toni nennen lassen, obwohl er in Wirklichkeit anders hieß, und sich irgendwann einer militanten Gruppe angeschlossen.
Warum ging es damals eigentlich ständig um Gewalt? wirft Daniel ein.
Sie zuckt mit den Achseln, eine schwierige Frage, eine Frage, auf die sie auch keine richtige Antwort wisse; vor einigen Monaten habe sie eine Erklärung dieser Gruppe in der Hand gehabt und sich gewundert, weil sie den Text anders, viel überzeugender in Erinnerung hatte, denn diese Gruppe habe etwas gemacht, das ihr damals völlig legitim und folgerichtig erschien, auch heute nicht falsch vorkomme. Die Gruppe habe die staatliche Asylpolitik bekämpft, Ausländerbehörden in Brand gesetzt, zentrale Registerstellen zerstört, denn Ende der achtziger Jahre sei das alles ja noch Papier gewesen, Unterlagen, die physisch vernichtet werden konnten, und in diesem Zusammenhang habe die Gruppe dann auch angefangen, es müsse 1986 oder 1987 gewesensein, auf Repräsentanten dieser Asylpolitik, auf besonders arrogant auftretende Asylrichter und Staatsanwälte, auf Bürokraten, die Menschen ins Nichts abschoben, Anschläge zu verüben. Man habe ihre Autos in Brand gesetzt und schließlich auch auf sie geschossen, allerdings nur auf die Beine, um sie zu verletzen, zu bestrafen, nicht aber zu töten.
Wie die Mafia, stellt Daniel fest.
Ja, wie die Mafia oder die italienischen Roten Brigaden, gibt sie zu und fährt dann fort, es sei darum gegangen, Druck aufzubauen, Druck auf jene Leute, die sonst nie Druck zu spüren bekommen, Druck nur ausüben. Die Gruppe habe beweisen wollen, dass Gegengewalt möglich sei, herrschender Gewalt Grenzen gesetzt werden könnten, aber gleichzeitig auch Grenzen der eigenen Gewalt festgelegt.
Fil habe nicht zu der Gruppe gehört, aber wie sie alle habe er damals mit ihr sympathisiert, sei er überzeugt gewesen, dass derartige Aktionen etwas verändern könnten, und zumindest punktuell veränderten sie ja auch wirklich etwas, denn wenn Akten bei einem Brand vernichtet wurden, konnten die betroffenen Personen nicht abgeschoben werden, und Furcht habe sicher auch den einen oder anderen Richter zu einem vorsichtigeren Verhalten bei Asylprozessen bewegt. Toni, der Freund Fils, sei sehr jung zu der Gruppe gekommen, mit Anfang zwanzig, habe zuerst den Polizeifunk während der Aktionen abgehört, dann auch ein Motorrad geklaut und es bei einer Aktion gefahren. Und so habe auch Fil indirekt mit der Gruppe zu tun bekommen, denn Toni, der ein Angeber war, immer durchblicken lassen musste, dass er mehr machte, als bei Demos Container auf die Straße schieben, habe Fil irgendwann mitgenommen,um ein Erddepot, ein Versteck für Waffen und Unterlagen anzulegen.
Anfang der neunziger Jahre habe
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