Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
sich die Gruppe aufgelöst, Ela habe nie ganz verstanden, warum, es habe wohl auch mit Verbindungen ins Ausland zu tun gehabt, auf jeden Fall habe Toni von da an sehr orientierungslos gewirkt, denn die Gruppe sei für sein Selbstwertgefühl sehr wichtig gewesen. Und dann, sagt sie, sei er schließlich zur Polizei und habe angefangen, Aussagen zu machen.
Sie hätten nie herausbekommen, ob er sich selbst gestellt hatte oder die Ermittler auf seine Spur gestoßen waren, manche behaupteten, er sei von seiner Freundin verpfiffen worden, sicher sei nur, dass er begonnen habe, gegen die Gruppe Aussagen zu machen.
Die Presse habe ausführlich darüber berichtet, auch weil die Gruppe aus völlig unverdächtigen Personen bestand: einem Anwalt für Ausländerrecht, einem Handwerker, einer bekannten Kinderärztin, anders als bei der RAF habe es sich nicht um Untergetauchte gehandelt, um bewaffnete Existenzialisten, die der Gesellschaft den Krieg erklärt hatten, sondern um ganz normale Leute mit einem ganz normalen Leben und sehr konkreten Zielen, die sie durch einen begrenzten Einsatz von Gewalt durchsetzen wollten. In dieser Situation sei Fil das Erddepot wieder eingefallen, er habe sich daran erinnert, dass Toni vom Schrecken der Asylrichter, von den notwendigen Mitteln gesprochen hatte, ein Zitat von Malcolm X, by any means necessary , und weil eine Tatwaffe das wichtigste Beweisstück in einem Prozess ist, habe Fil sich auf den Weg gemacht, sei mitten in der Nacht bei strömendem Regen aufs Land gefahren, dorthin, wo sie damals das Depot angelegt hatten, und es ausgegraben. Erhabe Glück gehabt, unverschämt viel Glück, denn die Ermittlungsbehörden seien kurze Zeit später gekommen, vielleicht 24 Stunden danach, ihr Kronzeuge habe sie an die Stelle geführt, aber da sei das Depot schon ausgeräumt gewesen, denn Fil habe die Waffen noch in dieser Nacht bei strömendem Regen ausgegraben und verschwinden lassen. Im Nachhinein, fährt Ela fort, sei nicht klar gewesen, warum die Behörden nicht auch Fil verhafteten, ob Toni über den Freund keine Aussagen gemacht hatte oder die Behörden ihn für einen Mitläufer hielten, tatsächlich habe er ja weder zur Gruppe gehört, noch je an einer Aktion teilgenommen, fest stehe nur, dass sie ab diesem Moment, dass auch Ela ab diesem Moment beschattet worden seien, ab diesem Tag über mehrere Jahre. Man habe sie überwacht, ihr Telefon abgehört, sei ihnen auf Schritt und Tritt gefolgt. Sie habe das erst nach und nach gemerkt, denn Fil habe sie nur allgemein gewarnt, habe ihr gesagt, dass sie besser Abstand zu ihm halten solle, er vielleicht in den Bau gehen werde, sie aufpassen müsse, nicht in die Sache hineingezogen zu werden.
Und so seien sie überwacht worden, sagt sie, sei sie das zweite Mal in ihrem Leben von einem Staat völlig ausgeforscht worden. Keine schöne Erfahrung, fügt sie hinzu, es sei nicht besonders lustig, wenn alles, was man sagt, jede Bemerkung, jeder schlechte Witz, jede Lästerei am Telefon später in Akten nachzulesen ist, es lege alles von einem offen. Viele Freundschaften seien daran zerbrochen, sagt sie, viele, fast alle.
Sie bleibt stehen, blickt über die Ebene, die flimmernden Felder. Zwei Mal ausspioniert, denkt Daniel, zwei Mal im Leben durchleuchtet – was für ein Scheißspiel, kein Wunder, dass sie ausgerastet ist, als ich in ihrem Zimmer herumgeschnüffelt habe.
Fil, sagt sie, die Mücken surren ihnen um den Kopf, es riecht nach Himbeeren, an dieser Stelle nach Fichtenharz und Himbeeren, der Vater, sagt sie, sei kein schlechter Typ. Er habe sich blöd verhalten, blöd gegenüber Daniel, blöd auch gegenüber ihr, habe wie die meisten Männer manchmal nur mit dem Schwanz gedacht, doch ein schlechter Typ sei er nicht gewesen. Sie wisse nicht, ob das eine Bedeutung für Daniel habe, ihm in irgendeiner Weise helfe, aber sie glaube nicht, dass Fil ihm gegenüber gleichgültig war, ihn vergessen habe, er habe nur einfach geglaubt, diese Vaterschaft sei nicht so wichtig, sei für Daniel vielleicht auch gar nicht so gut, habe immerhin damit rechnen müssen, ein paar Jahre im Gefängnis zu verbringen. Wahrscheinlich beruhige ihn das nicht, sagt sie, sei das für Daniel kein Trost, aber in der Geschichte des Vaters gebe es wenigstens kein dunkles Geheimnis, keinen Verrat. Anders als bei ihr.
VIII
Vier
Stunden
Aufenthalt
in Budapest, siebter Bezirk, Schaufenster, die schon vor zwanzig Jahren genau so ausgesehen haben müssen, ein
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