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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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Schuster, an dessen Ladentür nur ein handbeschriebener Pappkarton hängt, ein Schnellrestaurant in offensichtlich chinesischem Besitz, die arabisch geführte Videothek. Aus einem offen stehenden Keller riecht es muffig, als sei das Gebäude seit Jahrzehnten nicht gelüftet worden, als habe man vergessen, dass dieses Gebäude existiert, ein Geruch, der schon da gewesen sein muss, als Fil und Michaela zum ersten Mal nach Rumänien fuhren, als Daniel geboren wurde, als Elas Vater seine Berichte für die rumänische Staatssicherheit schrieb.
    In der Auslage eines leergeräumten Bekleidungsgeschäfts liegt der Torso einer glatzköpfigen Puppe, ihr rechter Arm fehlt.
    Vom Gewicht seines Gepäcks erschöpft, setzt sich Daniel in einen Hauseingang und schreibt eine SMS nach Berlin, an die Freunde, er will sich verabreden, sich gehenlassen, Freunde sehen, denkt er, als er die Sendetaste drückt, nicht allein sein, nie wieder allein sein, etwas Gemeinsames machen, das Leben ändern, anders leben. Auch wenn er nicht weiß, wie.
 
    Doch bevor er die Freunde trifft, geht er – zurück in Berlin, von der nächtlichen Zugfahrt übermüdet – noch einmal ins Krankenhaus; erkundigt sich bei den Pflegern, wie es dem Vater in den Tagen der Abwesenheit ergangen sei, hört, dass es keine Neuigkeiten gebe, der Zustand stabil sei, kritisch, aber stabil, setzt sich eine Weile ans Bett. Diesmal redet er nicht, sitzt nur schweigend beim Vater, ohne ihn zu berühren, bleibt auf Distanz, lässt Fil nicht näher herankommen, als der es verdient, und fühlt sich doch irgendwie versöhnt, weiß nun immerhin, dass der Vater kein Heuchler war, kein Opportunist. Zwar versteht Daniel nach wie vor nicht, was der Vater gemacht hat, warum er es gemacht hat, so viel riskierte, für andere riskierte, aber nicht für Daniel, kann nicht nachvollziehen, wieso die Gewalt in seinem Leben so normal erschien, eine so zentrale Rolle spielte, versteht nicht, wieso er sich in einen Kampf stürzte, der wie ein Comic-Strip wirkt, aber hat immerhin begriffen, dass es darum ging, etwas zu verändern, es auch jetzt darum gehen könnte.
    Daniel sitzt beim Vater, aber denkt an Ela, denkt daran, wie er sie belogen hat, zum dritten Mal in ihrem Leben ausspionierte, ruft sich ihre Unterhaltungen in Erinnerung, die Bilder der Reise, die Landschaft, ihre Spaziergänge, hört ihre ruhige, entschlossene Stimme, fühlt sich verstanden, ernst genommen. Nur über ihre Beziehung zu Fil wollte sie nicht reden, hat sie fast kein Wort verloren.
    Vielleicht, denkt er, während er beim Vater sitzt, ist er auf dieser Reise auch weniger Fil als der Frau nähergekommen.
 
    Am Abend auf der Straße: vor einem Club, laue Zwischenwelt, Limbus, Vorhof zur Vergnügungshölle. Italienische, amerikanische, israelische Touristen, die mit Billigflügen in die Stadt gekommen sind, um sich gehenzulassen, sich für relativ wenig Geld relativ viel gehenzulassen, das günstige Preis-Leistungs-Verhältnis der Stadt ausnutzen, effizient feiern wollen. Die Spree schimmert im Licht der Oberbaumbrücke, eine Zigarettenkippe spiegelt sich, grün glimmend, in den Scherben einer zerplatzten Bierflasche, Betrunkene stapfen ziellos durch ausgetretenen Sand. Wie eine Lichtschlange, ein leuchtender chinesischer Neujahrsdrachen zertrennt die Hochbahn das Blickfeld, Steffen verteilt Pillen.
    Daniel hat den Eindruck, wird später den Eindruck haben, noch nie so abrupt glücklich gewesen zu sein.
 
    alles fühlt sich anders an, aus irgendeinem grund anders an
            auch das
                    anders an
 
    Es gibt Drogen, sagt jemand, hört Daniel eine Stimme, die machen einen zu einem energiegeladenen Kotzbrocken, es gibt andere, die verwandeln einen in einen selbstvergessenen Softie, was aber macht einen gut aussehend, erfolgreich, glücklich und sympathisch?
    Ich will gar nicht mehr erfolgreich sein, hört Daniel eine Stimme sagen, es könnte seine eigene sein, Ausbildung, Praktika, Festanstellung, ich will gar nichts mehr wollen, gar nichts mehr nicht wollen.
    Und wieder ist da das Gefühl, in einer anderen Rolle zu stecken, in der eigentlichen Rolle zu stecken.
    Daniel nimmt doch sonst keine Drogen, hört er eine Stimme, eine andere sagen, nimmt doch sonst nur selten Drogen, kifft vielleicht einmal, und auch das nur zum Semester-ende – um die Prüfungen nicht zu versauen, und immer nur zum Ende des Sommersemesters.
    Er ist ein Kontroll-Freak …
    Im Winter fürchtet er sich vor

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