Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
den Depressionen, die er am Tag danach bekommen könnte.
Er ist ein Kontroll-Freak, aber dafür hat er sein Leben im Griff …
Ausbildung, was Sicheres …
Anders als wir.
Im Griff? denkt Daniel, und dann: der Mond eine Milchpfütze, nur zur Hälfte aufgewischt, eine angebissene Oblate, ein aufgebogener Angelhaken, der einen ködert .
Und er zeigt mit dem Finger zum Himmel, denkt:
das leben ist schon länger aus dem ruder
gelaufen
aber jetzt nach der reise
fühlt sich etwas anders
an grundsätzlich
anders an
Die Touristen, sagt Steffen, aber die Bemerkung könnte auch von einem Passanten stammen, einem Passanten, der kein Tourist ist, ich ertrage sie nicht, wenn es eine Partei gäbe, die gegen die vorginge.
Gegen den Lärm.
Die Manie, sich mit Bier volllaufen zu lassen und in die Hauseingänge zu pissen.
Man kann verstehen, dass sie sich amüsieren wollen, aber müssen sie das hier tun, hierher kommen und sich wie Engländer in Spanien benehmen?
Können sie sich nicht zu Hause wie Engländer in Spanien benehmen?
Sie sollten nur in Kontingenten einreisen dürfen, dem Massentourismus sollte ein Riegel vorgeschoben werden.
Dem Easyjet-Set.
Gäbe es diese Partei, ich würde sie wählen, würde sogar Wahlkampf für sie machen, würde Politik machen.
Aber was ist Politik? …
Plakate aufhängen und vor Infoständen seine Meinung in prägnante Sätze gießen? …
Ich kenne eine, die isst nur vegan …
Vegan?
Sie meint, das sei politisch …
Ich dachte, Politik ist, wenn man diese Leute wählt und sich in Parteien engagiert.
Oder ganz aufs Autofahren verzichtet.
Oder Autos anzündet …
Man sollte sich für etwas engagieren.
Für etwas Nützliches …
Ich kenne eine, die isst nur vegan, die hält das für nützlich.
Und dann sagt Daniel, hört Daniel sich sagen: Die Kontrolle ist weg, nur die Sehnsucht ist noch da, die Sehnsucht nach etwas Anderem, ohne dass er sagen könnte, wonach, ohne sagen zu können, was dieses Andere sein soll.
der mond ein
zerbrochenes fenster
eine abgesprengte leucht
kugel
nur ein schatten seiner
selbst
Schatten kann er werfen , hört Daniel den Mitbewohner, Steffen, den früheren, zukünftigen Mitbewohner antworten, ihn oder einen Passanten, aber wieso »Schatten«?
Obwohl der Eintritt nicht ganz billig und es noch leer ist, betreten die vier einen Club, gehen vielleicht auch deshalb in diesen Club, weil er um diese Zeit noch nicht gedrängt voll ist, man noch Luft bekommt, bestellen alkoholfreies Bier, das besser zu den Pillen passt, und werfen sich in die Musik, werfen sich als Einzige auf die Tanzfläche, die um diese Zeit noch leer ist, um dann abrupt den Raum zu wechseln, sich zwischen Farben und Musikstilen zu verlieren, genießen die Frische der Luft, die klimaanlagengekühlte Temperatur, blicken durch die großen Frontfenster, die Richtung Spree zeigen, Richtung Norden, wo auch um diese Zeit noch ein Schimmer Dämmerung über dem Horizont liegt. Daniel lehnt die Stirn gegen das Glas, das sich erfrischend anfühlt.
Als sich Faruk neben ihn stellt, auch er die Stirn ans Glas presst, die Nase plattdrückt, fragt ihn Daniel, ob er ihr Leben nicht auch belanglos finde.
Studium, Einkaufen, Facebook, Computerspielen, Arbeiten, Weggehen, wir machen nichts, was bleibt, was eine Bedeutung hat; leben, als wäre das nicht unser Leben, als wäre das nur eine Casting-Show für etwas Anderes, eine Casting-Show, in der alles schon bekannt ist, in der selbst der Gedanke, dass es sich um eine Casting-Show handelt, schon Thema in der Show war.
Aber Faruk, der Freund, eigentlich Steffens Freund, zuckt nur mit den Achseln, er kann sich nicht vorstellen, dass es anders sein könnte, vielleicht ist es das, denkt Daniel, was sie von Fils Generation unterscheidet, man kommt nicht mehr hinaus, egal, was für eine Option man wählt, man bleibt immer Teil der Show, alle Rollen sind möglich, alle sind erlaubt.
Als er am nächsten Tag wach wird, es ist schon Nachmittag, Hitze suppt durchs offene Fenster, wieder dreht eine Schmeißfliege sinnlose Kreise, sucht verzweifelt einen Ausweg aus dem Zimmer, das sie nicht verlassen will, skizziert Daniel Multiple-choice-Fragen auf einen Zettel: Geht es mir
Weitere Kostenlose Bücher