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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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sie und lacht; zum ersten Mal lacht sie.
 
    Sie gehen die Straße hinunter, die auf beiden Seiten aufgerissene Straße, unter der immer noch, unter der seit Monaten neue Fernwärmeleitungen verlegt werden, und wieder dröhnt das Kopfsteinpflaster, wieder vibriert der ganze Straßenzug, wenn Busse vorbeifahren, aber anders als vor ein paar Wochen, als Daniel hier mit Beule unterwegs war, fühlt Daniel sich diesmal sicher, ist es, als gäbe es diesmal einen ruhenden Punkt.
    Er macht sich keine Gedanken darüber, welche Hausarbeiten er abzugeben hat, denkt nicht daran, wann er die Ernte bei FarmVille einbringen muss, ob er es diese Woche wohlnoch auf 800 Facebook-Freunde bringen wird, am Abend Sport machen soll, um sich fit zu halten, nicht alt zu werden, er den Vater morgen besucht oder lieber nicht, was mit dem Bafög geschieht, er Katarina in London zum Geburtstag gratuliert hat, gratulieren soll, er zuerst die Obsternte einbringt oder sich um den neuen Swimmingpool kümmert.
    Die Frau neben ihm, die nach Hugo Boss, Kettenöl, Sommer riechende Frau schiebt sich eine Strähne aus dem Gesicht, eine auf der Stirn klebende Strähne, wischt sich den Schweiß von der Haut, und Daniel denkt: die Stadt eine rotierende Scheibe, und er selbst die rollende Kugel, die nicht weiß, wo sie hinfallen wird, rot oder schwarz, gerade-ungerade; denkt
 
             eine extrasystole wie
                     das fallen
                     eines kieselsteins
             in die tiefe
                     eines brunnens.
 
    Was sie so mache?
    Sie gehe mit ihm essen.
    Und wenn sie nicht mit ihm essen geht?
    Sie klettere.
    Klettern?
    Bergsteigen.
    In Berlin?
    Deswegen sei sie auch oft weg.
    In Österreich?
    An irgendeiner Wand, mit dem Zelt oder einem Bus von Freunden.
    Höre sich hippiemäßig an.
    Sei es aber nicht; sie könne ja nicht immer ins Hotel. Und er?
    Alles sei anders, behauptet er, er müsse jetzt erst mal sehen.
    Und davor? Bevor alles anders geworden sei?
    Wollte er Lehrer werden.
    Kinder erziehen?
    Ein festes Gehalt beziehen.
    Sie nickt, als verstünde sie, dabei gibt es da gar nichts zu verstehen.
    Und von was lebt sie?
    Industrieklettern, antwortet sie. Ob er sich an die Weltmeisterschaft erinnere, 2006, der Funkturm am Alex habe wie ein Fußball ausgesehen, die Funkturmplattform sei mit einer Folie bespannt gewesen, das hätten sie gemacht, sie und ihre Kollegen.
    Dort oben sei sie herumgeklettert? In 300 Meter Höhe?
    240 Meter, korrigiert sie ihn, die Plattform sei ja nicht ganz oben am Turm, aber im Augenblick klettere sie nicht, im Augenblick jobbe sie unter Tage.
    Klettern im Keller?
    Ohne klettern, sagt sie, ihre Tante habe einen U-Bahn-Kiosk. Sie mache dort Urlaubsvertretung, hocke in einem zwei Quadratmeter großen Verschlag und verkaufe Lucky Strike, zwei Jägermeister und Weichgummis für fünfzehn Cent, bitte.
    Immerhin könne man da nicht tief stürzen, sagt er.
    Aber man schaue auch nur bis zur nächsten Kundenwampe. 
    Sie gefalle ihm, stellt er unvermittelt fest, sie gefalle ihm sogar sehr gut.
    Er kenne sie doch gar nicht.
    Das sei egal, sagt er, und was sei mit ihm? Gefalle er ihr auch?
 
    Der Kioskfernseher steht auf dem Kühlschrank mit den Getränken, es läuft ein Zweitligaspiel, der Metallhocker seufzt, als Daniel sich setzt, ächzend entfährt Luft aus den Polstern. Die Frau bleibt beim Tresen, unterhält sich mit dem Imbissbesitzer in einer Sprache, die Daniel nicht versteht.
    Unauffällig betrachtet er sie, versucht er sie zu betrachten, die sonnengebräunte Haut, ihre sehnigen Hände, die unter dem T-Shirt hervortretenden Brüste; dann setzt sie sich zu ihm.
    Was er im Haus gemacht habe, ob er dort wohne.
    Er habe etwas abholen wollen, sagt Daniel, von einem Bekannten. Beules Namen nennt er nicht.
    Und die Bank?
    Er habe sie gesehen.
    Er habe sie gesehen und sich zu ihr gesetzt?
    Genau das.
    Das sei aber sehr spontan von ihm gewesen, sagt sie spöttisch und lacht.
    Er habe es gemacht, weil sie so schön sei.
    Sie verdreht die Augen, der Imbissbesitzer wirft Falafel in das siedende Öl, ein Zischen durchschneidet den Raum, durchschneidet das Zweitligaspiel, aber Daniel fühlt sich ruhig, fühlt sich unerwartet gelassen.
    Was das für eine Sprache sei, die sie gerade gesprochen habe.
    Arabisch.
    Wo sie denn her sei?
    Rudow.
    Er meine die Familie.
    Minden, erwidert die Frau.
    Und davor?
    Wieder verdreht sie die Augen, doch diesmal grunzt sie

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