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Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)

Titel: Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raul Zelik
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sich mehrere Löffel in den Mund. Als sie zurückkam, waren ihre Lippen braun und süß wie Zucker.
    Später, im Schlafzimmer, schimmerte das Satinbettzeug.
    Als er sein Hemd abstreifte, über den Kopf streifen wollte, griff sie ihm in den Schritt und drückte leicht dabei zu.
 
    Sie schlafen miteinander, aber er könnte nicht sagen, ob sie kommt, kann überhaupt selten sagen, was sie wirklich fühlt oder denkt, sie bleibt irgendwie distanziert. Auf dem Rücken liegend, mit Blick auf die Zimmerdecke fragt sie nach seiner Vergangenheit, und er erzählt von Göttingen, seinem Umzug, dem Studium, der Wohngemeinschaft mit Steffen, doch die Frau, die er vor einem Monat kennengelernt hat, Sarah, und den kranken Vater spart er aus, wieder aus.
 
        sie
 
        reden über Lebensphasen. Arbeit, Klettern, seine Hobbys, Freizeitbeschäftigungen, denen er schon länger nicht mehr nachgeht, die ihm nie so bedeutungslos vorgekommen sind wie jetzt.
    Dem lässt ihn reden, schweigt, lässt ihn schweigen, redet selbst, und Daniel denkt, dass sie sich unterhalten, als müssten sie sich auf den Stand bringen, als ginge es darum, nachträglich zu erfahren, wer man ist, darum, die körperliche Nähe im Nachhinein zu legitimieren.
 
    Es ist dunkel, endlich Nacht, die Dämmerung hat sich lange hingezogen, als sie noch einmal auf die Straße, zur Videothek an der Ecke hinausgehen. Die Frau, die fremd bleibt, sucht einen Film aus, eine Literaturverfilmung, was ihn überrascht, einen Film von Michael Haneke, über den sie einmal an der Universität diskutiert haben, damals , als Daniel noch an die Universität ging, ein Film über verdrängte Erinnerung, einen Tag im Oktober 1961, als Franzosen mehrere Hundert Algerier auf den Straßen von Paris lynchten – die Seine soll voller Leichen gewesen sein. Daniel blickt sie an, leicht irritiert, beobachtet, wie sie am Tresen steht, sich durch die Haare streicht, die etwas zerzausten Haare, das T-Shirt gerade zupft, die Leihgebühr bezahlt,
 
            und in diesem augenblick
    schießt ihm durch den kopf
            ist plötzlich der gedanke da dass sie
            schwanger
            sein
            er ausgerechnet jetzt
 
    da der Vater im Sterben liegt, ein Kind gezeugt haben könnte. Daniel will kein Kind, aber der Gedanke gefällt ihm.
 
            ein kind mit dieser
                    frau
            als wäre es
    vorherbestimmt
    mit dieser frau
 
    Zurück in der Wohnung, aus der Videothek zurück, räumt Dem die eingekauften Getränke in den Kühlschrank, während Daniel die ausgeliehene DVD ins Gerät einlegt. In diesem Moment fällt sein Blick auf einen Kalender, der schwarze Kunstledereinband mit dem eingestanzten Markennamen ist zu erkennen, Moleskine , einige in den Kalender eingelegte Fotos schauen heraus, aber diesmal geht er nicht einfach ans Regal und schaut sich alle Sachen an, diesmal fragt er um Erlaubnis. Ob er die Fotos anschauen könne, die in einem Kalender eingelegten Fotos, erkundigt er sich, und Dem bekundet abgelenkt Zustimmung, stimmt irgendwie zu.
    Er nimmt also die Bilder in die Hand, Urlaubsaufnahmen, sieht einen alten VW -Bus vor einem Berg, einen klapprigen hellblauen VW -Bus, vielleicht Baujahr '79 oder '80, sieht Dem neben einigen Freunden, fast alles Jungs, in ärmellosen T-Shirts vor einer Felswand hocken und Konserven löffeln, ein bisschen wie in dem Dokumentarfilm von der tropischen Erstbesteigung, Daniels Tagtraum während der Fahrt an den See.
    In diesem Augenblick kommt Dem herein, stellt sich neben ihn, blickt ihm über die Schulter, sagt: Griechenland, seufzt, armes bankrottes Griechenland, und schiebt die Frage hinterher, ob er es nicht auch komisch finde, dass erst kein Geld da war für zwanzig Euro Hartz IV mehr im Monat, jetzt aber plötzlich problemlos dreihundert, vierhundert Milliarden Euro zur Rettung von Banken verteilt werden. Daniel nickt, versucht Zustimmung zu bekunden, aber bevor er etwas erwidern könnte, hat sie sich schon wieder abgewendet, geht in die Küche zurück.
    Daniel schaut sich nun die anderen Aufnahmen an: Demmit einer ihr ähnlichen, nur wenige Jahre älteren Frau; der Dauerwelle, der an die Wohnungseinrichtung erinnernden Frisur, nach muss es die Tante sein, der auch der Kiosk, die Wohnung gehört. Dem mit zwei Freundinnen, in Trainingsjacken, vor einer vollgesprühten Mauer, die Hände recken sie in einer Pose nach vorn. In einem teuren Mantel,

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