Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
Kind, rückt Daniel näher an die Frau, legt ihr den Kopf in den Schoß.
Und auch diesmal gehen sie zu ihr, auch diesmal öffnet sie die Haustür mit einem ironischen Hinweis, auch diesmal irritiert der Anblick der Wohnzimmereinrichtung, die wuchtige schwarze Glasplatte des Beistelltischchens.
Daniel fragt, warum sie bei der Tante wohne, ob sie nicht auch bei Freunden unterkommen könne.
Sie habe die Wohnung für sich, antwortet sie und schaltet im Vorbeigehen den Fernseher an, den Plasma-Bildschirm, durch das offene Fenster dringen die Schreie der Mauersegler herein, außerdem, fügt sie hinzu, sei es zum Kiosk nicht weit.
Sie zieht ihr Gras aus der Tasche, dreht sich den nächsten Joint, setzt sich ans Fenster, vielleicht weil es die Tante nicht mag, wenn man in ihrer Wohnung raucht, und diesmal bietet sie Daniel den Joint gar nicht erst an, beginnt unvermittelt, von der Tante zu erzählen.
Dass sie nur ein paar Jahre älter sei als Dem, sie als Jugendliche viel Zeit zusammen verbracht hätten.
Auf dem Plasmabildschirm schwimmen Fische, Hunderte von Fischen an einem Korallenriff vorüber, Fische in allen Farben, das Bild ist so plastisch, denkt Daniel, so bunt, man möchte mit den Händen hineingreifen, und tatsächlichstreckt er die Hände wie in einem Reflex nach dem Fernseher, dem Plasmabildschirm aus.
Dem, die eigentlich Demiana heißt, im Park hat sie es ihm verraten, eine Geschichte aus dem dritten Jahrhundert, die Geschichte eines Mädchens, das verheiratet werden sollte, aber sie ließ sich nicht verheiraten, sie widmete ihr Leben Gott, dem neuen Christengott, brach mit dem Vater, der einen Kompromiss machen wollte, einen Kompromiss mit dem römischen Herrscher, der damals noch kein Christ war, was für ein blöder, saublöder Name, hat sie im Park gesagt, religiöser Quatsch, lässt den Joint auf dem Fensterbrett liegen, greift nach der Fernbedienung, zappt ein Programm weiter: eine Westernserie aus den sechziger Jahren. Dann kehrt sie an ihren Platz am Fenster zurück, zieht erneut am Joint, erzählt weiter von der Tante.
Sie hätten viel Zeit miteinander verbracht, die Tante habe ihr sehr geholfen, damals , als Dem, Demiana, von zu Hause abgehauen war.
Revolver, die wie Kinderkracher knallen.
Als sie von zu Hause wegging, sei sie sechzehn gewesen, die Eltern hätten sie verloben wollen, lustiger Zufall, wie in der Geschichte der Namensgeberin, hätten sie mit einem Christen aus guter Familie verkuppeln wollen, also sei sie abgehauen, habe ein paar Wochen auf der Straße gelebt.
Sie wollten sie verheiraten? wiederholt er.
Die Eltern, sagt sie, seien religiöse Spinner, sie sehe sie nicht mehr, sie vermisse sie nicht, ihre Freunde hätten ihr die Familie ersetzt.
Daniel nickt, der Satz kommt ihm bekannt, allzu bekannt vor.
Sie sei ausgerissen, fährt sie fort, habe erst auf der Straße,dann in einem Weglauf-Haus gelebt, da gebe es kein Zurück mehr, also habe sie die Brücken zu den Eltern abgebrochen, die Schiffe verbrannt.
Bei den einen, denkt Daniel, war der Vater nicht da, weil er gegen oder für den Staat arbeitete, gegen oder für die Verhältnisse konspirieren musste, bei anderen besteht die Tragödie darin, die Eltern ertragen, jeden Tag ertragen zu müssen.
Sie zieht ein letztes Mal an ihrem Joint, drückt ihn am Fensterbrett aus, schmeißt ihn auf den Gehweg hinunter, und für einen Moment zögert er, ob er von seiner Suche nach dem Vater, von der Krankheit Fils, seiner Abwesenheit erzählen soll, behält den Gedanken dann aber für sich, als würde er stören.
später
schlafen sie wieder miteinander
sie haben
nebeneinander am fenster gestanden
auf das Kopfsteinpflaster geblickt, das sich an den Hang schmiegt, eine gutbetuchte Familie aus ihrem Geländewagen, einem in der Stadt völlig überdimensioniert wirkenden Geländewagen steigen und das Haus betreten sehen, das unbestimmte Surren eines Mückenschwarms gehört, eine Kastanie verlor sich unscharf hinter dem Wasserturm in der Dämmerung, ein feiner Stich Ozon lag in der Luft, brannte trocken im Rachen.
daniel summte ein lied
sie griff nach seiner hand
aber
bevor sie sich auszogen, Dem sich vor seinen Augen auszog, sich nackt vor ihm streckte, als wolle sie sich ihm zeigen, als stehe sie darauf, angeschaut zu werden, ging sie noch einmal in die Küche, schmierte sich ein Brot, beschmierte es dick mit Schokoladencreme, stopfte
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