Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
geschminkt, mit hohen Stiefeln und in diesen Kleidern der Sängerin aus dem Musikvideo noch ähnlicher; und schließlich ein Gruppenbild – fünf Mädchen, darunter auch Dem, damals vielleicht siebzehn, achtzehn Jahre alt, und drei Frauen um die dreißig an einem Strand, die Arme gegenseitig auf die Schultern gelegt, auf dem Boden liegt ein Surfbrett. Erst beim zweiten Hinsehen fällt Daniel auf, dass er eine der Frauen kennt, erst vor wenigen Tagen gesehen hat: Ela . Deswegen, denkt er, meinte er Dem zu kennen, als sie sich das erste Mal begegnet sind; das Mädchen, das er bei Ela auf dem Foto gesehen hat, die Surferin am Strand, die in die Kamera grüßte, ist Dem. Ela und sie kennen sich, die beiden hatten miteinander zu tun.
Er läuft in die Küche und schreit gegen das Radio an, gegen türkische Popmusik.
Du kennst Michaela? Er hält das Foto in der Hand, das Gruppenfoto, schiebt hinterher: Ela, eine Frau, die Ela genannt wird?
Dem reagiert zunächst kaum, ist weiter damit beschäftigt, den Kühlschrank einzuräumen, mit sich selbst beschäftigt, der Stimmung des Joints, der selbstgenügsamen Stimmung, die das Gras erzeugt, eine träge machende Droge. Sie braucht eine Weile, bis sie begreift, was er will.
Die Frau, sagt er, so ein Zufall, ich kenne sie, ich habe dich bei ihr auf einem Foto gesehen.
Welche von ihnen? fragt Dem und blickt auf das Bild.
Er zeigt mit dem Finger aus Elas Gesicht, sagt: Sie lebt in Rumänien, früher war sie in Berlin, sie ist ungefähr fünfzehn Jahre älter als ich.
Ela, wiederholt Dem, als sei die Erinnerung in einer tieferen Schicht des Gedächtnisses abgelegt, Ela. Stimmt, stellt sie schließlich fest, wir waren im Urlaub zusammen. Sie war eine Betreuerin, sie hat uns in den Ferien begleitet.
Daniel versteht nicht.
Sozialarbeiterin, schiebt Dem erklärend hinterher, sie sei, nachdem sie von zu Hause abgehauen war, von Sozialarbeitern betreut worden, sie sei ja noch minderjährig gewesen, ein paar Mal seien sie auch im Urlaub gewesen, die Mädchen von »Wege ins Leben« und ihre Betreuerinnen. Eine von ihnen war Ela.
Und er? Woher kennt er sie?
Daniel will nicht von Fil reden, will nicht, dass der Vater sich über alles legt, seine Freundschaften festschreibt, und beschränkt sich deshalb auf die Aussage, dass er Sibiu kennenlernen wollte, zufällig Elas Adresse bekommen und sie in Rumänien besucht habe.
Dem nickt, findet es nicht weiter verwunderlich, dass Daniel die Frau kennt, in der Stadt kennen sich alle, schneidet Obst auf einen Teller und geht wortlos aus der Küche ins Wohnzimmer hinüber. Für einen Moment schallt die Musik aus der Küche gegen eine Fernseh-Talkshow an, dann verstummt das Radio wie von unsichtbarer Hand zum Schweigen gebracht, von Geisterhand, und Daniel sagt, die Frau in Rumänien sei in Ordnung gewesen, sehr nett, sie habe ihn bei sich wohnen lassen, obwohl sie sich nicht kannten, extrem gastfreundlich.
Dem, die sich eine Traube in den Mund gesteckt, mit der Fernbedienung den DVD -Player in Gang gesetzt hat, schweigt einen Moment, antwortet schließlich, dass sie von den Sozialarbeiterinnen immer genervt gewesen sei, von diesen Frauen, die immer wussten, was gut für einen war, diesen Ersatzmuttis mit sozialpädagogischem Tick.
Ja, denkt Daniel, Ela hat ein Helfersyndrom, sie glaubt stets, einen bekehren zu müssen, das kann nerven.
Aber es sei ja auch ihr Job gewesen, die Ersatz-Mama zu spielen, fügt Dem hinzu, als könne sie Gedanken lesen, dafür habe man die Frauen schließlich bezahlt.
Er fragt, ob sie Ela nie wiedergesehen habe, und sie schüttelt den Kopf, nein, sie sei froh gewesen, als die Zeit vorbei war, das sei alles recht psycho gewesen, ziemlich anstrengend.
Und Daniel versucht sich vorzustellen, was so anstrengend gewesen könnte, fragt aber auch nicht weiter nach.
Sie schauen den Haneke-Film, und obwohl er alles andere als Lust macht, schlafen sie noch einmal miteinander, trotz des Films erst vor dem Fernseher, dann auf dem Satin-Bett. Sie haucht ihm Worte ins Ohr, Worte, die er gern hört, er weiß nicht, ob sie wahr sind, Worte, als wäre sie verliebt.
Im Morgengrauen reißt der Elektrowecker sie aus dem Schlaf, jäh aus dem Schlaf, steht Dem wortlos auf, hört Daniel schon bald die Kaffeemaschine heißes Wasser in den Papierfilter husten.
Als sie die Wohnung verlassen, sieht die Stadt ausgestorben aus, fühlen sich die Straßen hell, aber noch kühl an, singt eine Amsel. Dem zieht einen Apfel aus
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