Der Eindringling: Roman (edition suhrkamp) (German Edition)
der Tasche, beißt hinein und hält ihn Daniel hin, sagt grinsend: schlechte Metapher, überlegt: obwohl vielleicht doch gar nicht so schlechte Metapher, holt Luft: Ich stamme aus einer religiösen Familie, mein Leben besteht aus biblischen Zitaten, das musst du verstehen.
Er begleitet sie zum Kiosk, bietet ihr an, beim Aufbauen zu helfen, aber sie zögert, als fürchte sie, er könnte bleiben, sich den ganzen Tag mit ihr in das Kabuff zwängen wollen, sie in Besitz nehmen, lässt sich dann aber doch helfen. Er schneidet die angelieferten Pakete auf, sie sortiert die Zeitungen in die Ständer vor dem Glaskasten, und schon bald kommen und gehen die ersten Kunden, werden im Rhythmus der U-Bahn Käufer an- und wieder fortgespült.
Wie vereinbart, geht er, als die Arbeit gemacht ist.
Auf der Treppe dreht er sich noch einmal um, winkt ihr zu, wundert sich über ihr unerwartetes Zusammentreffen, das ihn glücklich macht, kehrt ins Tageslicht zurück; steigt die stinkende U-Bahn-Treppe hinauf in die Sonne, tritt aus den Eingeweiden der Stadt auf die Straße hinaus.
Auch diesmal geht er nicht nach Hause, sondern trinkt in einer Bäckerei einen Kaffee, blättert eine Programmzeitschrift durch, beobachtet, wie auf der gegenüberliegenden Straßenseite Lieferwagen entladen werden, streunt herum, bis die Geschäfte öffnen, gegen neun, um sich ziellos Kameras, iPods, Computerspiele, Platten anzuschauen, dieses und jenes in die Hand zu nehmen. Es würde ihn nerven, denkt er, wenn Dem den Vater kennt, wenn sie, damals vor zehn Jahren, über Ela auch Fil kennengelernt, sie darüber dann auch gleich ein bestimmtes Bild von Daniel hätte.
Später im Park oberhalb der vierspurigen Straße, die in der einen Richtung auf eine neugotische Kirche, in der anderen auf ein Kaufhaus, dahinter eine Einkaufsmeile zuläuft, die Sonne steht hoch über den Baumkronen, aber die Straßen sind immer noch leer, die Urlaubszeit hat ihren Höhepunkt erreicht, die Touristen schlafen ihren Vorabendrausch aus, setzt sich Daniel unter eine große Kastanie, nimmt eines der früh welk gewordenen, abgefallenen Blätter in die Hand, denkt: Wenn sie Fil kennen würde, über Ela auch Fil kennengelernt hätte, wäre das der Beweis, dass der Vater immer schon da ist, egal wo Daniel auch hinkommt.
Keine gute Erkenntnis.
Er geht nicht nach Hause, setzt sich nicht an den Computer, um eine Hausarbeit zu schreiben oder nach 773 Freunden zu schauen, ob Steffen ihn wohl inzwischen überholt hat?, sondern kauft sich eine Badehose und geht ins Schwimmbad; sonnt sich auf der Liegewiese, frühstückt fettige Pommes, schwimmt ein paar Bahnen.
Es ist ruhig, als er aus dem Wasser steigt, das kühle Wasser noch einmal wie eine Hand um den Oberschenkel greift, er sich an die Begegnung am See erinnert, die Sandbank im Schilf. Zurück auf der Liegewiese streckt er die Arme vom Körper, das Licht brennt im Gesicht, jeder Muskel scheint sich einzeln zu entspannen.
X
Wieder wartet er einen ganzen Tag lang auf eine Nachricht von Dem, blickt immer wieder auf das Display des Telefons, hofft, dass sie vielleicht doch schon eine SMS hinterlassen hat, aber als das Handy schließlich klingelt, ist nicht Dem am Apparat, sondern eine andere Frau, eine Frau, die er schon fast wieder vergessen hat, das ist ewig her, nach der Fahrt nach Sibiu, der Begegnung mit Ela, der Geschichte eines rumänischen IM , der die eigene Frau bespitzelt hat, vielleicht sogar ein Kind gezeugt hat, nur um die Frau zu bespitzeln, nach Michaelas Wutanfall, Daniels Scham, ihrer unerwarteten Offenheit, der Rückkehr mit dem Zug, einem Aufenthalt in Budapest, Nachtfahrt im Liegewagen, Rattern im Kopf, der Begegnung mit Dem, sie pumpte ihr Rad auf, dem gemeinsamen Ausflug in die Umgebung, das Seewasser kühl auf der Haut, ihrer Haut, die Abende bei Dem, den gemeinsamen Nachmittag im Park, dem Haneke-Film ewig lang her.
Die Frau, die anruft, Nina-Sarah-Charlotte, fragt, wann Daniel zurückgekommen ist, erinnert daran, dass er sich melden wollte, verbirgt ihren Vorwurf gar nicht erst hinter gespielter Fürsorglichkeit. Sie müssten sich sehen, schiebt sie hinterher, ohne ihm Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, sie hätten etwas Ernstes zu besprechen.
Etwas Ernstes? antwortet er mit einer seiner typischen Gegenfragen, er mache aus Prinzip nichts Ernsthaftes mehr.
Sie meine es ernst.
Er zögert, ob er einen Witz machen, sich über ihre gestelzte Ausdrucksweise lustig machen soll, sagt dann aber doch
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