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Der eine Kuss von dir

Der eine Kuss von dir

Titel: Der eine Kuss von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrycja Spychalski
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vom Kameraobjektiv.
    »Meine Mutter ist schuld. Sie ist überhaupt an allem schuld!« Sie wuschelt sich durch das Haar.
    Ich hebe die Augenbrauen. »Aha.« Ich weiß nicht, was ich von dieser Bemerkung halten soll, deswegen wechsle ich einfach das Thema. »Also gut. Wie möchtest du sitzen?« Ich will, dass die Leute vor der Kamera sich wohlfühlen, dass sie unverkrampft mit ihrem Körper sind und sich selbst aussuchen können, ob sie stehen, sitzen oder liegen möchten. Ich habe mal zur Probe einen Kamera-Selbstversuch gemacht und dabei festgestellt, dass sobald der rote Playknopf blinkt, man automatisch eine ganz unnatürliche Haltung einnimmt und das Lächeln einem auf den Lippen gefriert. Ich glaube, die größte Herausforderung für einen Filmemacher ist es, den Leuten vor der Kamera ein gutes Gefühl zu geben. Das muss ich noch üben.
    Linda lässt sich in den Sessel fallen und macht es sich bequem. Sie scheint keine so großen Probleme mit der Kamera zu haben. Als Einstellung wähle ich eine Halbtotale, sodass sie ganz im Bild ist, mitsamt dem Sessel und den Blumen, nicht nur ihr Gesicht. Man sieht, wie sie im Schneidersitz vor und zurück schaukelt, sich am Kopf kratzt und an ihrer bunten Halskette spielt.
    »Ready?«, frage ich und lächle ihr aufmunternd zu.
    Sie atmet noch einmal kräftig durch die Nase ein und nickt dann.
    Linda sieht direkt in die Kamera. »Willst du keine Frage stellen?«
    Ich schüttle den Kopf.
    LINDA: Oh. Okay. Also gut. Dann ist das gar kein Interview. Dann mach ich hier meinen Monolog, auch gut. Wenn ich was kann, dann reden … also nicht unbedingt gut, aber viel, ist dir vielleicht schon aufgefallen. Egal. Also, die Jungs, die sitzen da jetzt hinter verschlossenen Türen und machen Gruppe. Das kann dauern. Ich glaube, Milo ist sauer. Bei ihm sieht man das nicht so schnell, aber ich kenne ihn ja schon ein bisschen und erkenne das. Zum Beispiel daran, dass er dann nervös anfängt, die Nagelhaut aufzukratzen … so ungefähr … Oder er kaut auf seiner Unterlippe rum. Na ja, solche Sachen eben. Wenn die Band sich streitet, dann ist das immer so fifty-fifty, wie der Auftritt danach wird. Entweder sie verkacken ihn total oder er wird voll gut, weil sie diese aggressive Stimmung in ihr Spiel mit einbringen. Hm. Ich persönlich mag es nicht, wenn sie sich streiten. Das passiert schon ab und zu mal. Ich glaube, das ist normal, wenn man so oft zusammenhockt. Die hatten ja echt mal überlegt, in eine WG zusammenzuziehen. Ich glaube, das wäre ordentlich danebengegangen. Die Nachbarn hätten sich wahrscheinlich auch beschwert, wenn die drei auf ihren Instrumenten rumgeprobt hätten. Bei uns im Haus, also über uns, meiner Mutter und mir, wohnt so ein Typ, der jeden Abend Klavier übt. Das ist schon okay, eigentlich, aber wenn du so ganz und gar nicht in der Stimmung dafür bist, dann kann das total nerven. Ich mache dann meistens laut Musik an. Das wird den Typ dann wahrscheinlich nerven. Na ja, ist alles schlecht isoliert bei uns. Aber bis jetzt hat er sich noch nicht beschwert. Aber das wollte ich gar nicht erzählen – ich wollte eigentlich sagen, dass ich gespannt bin, wie die BlackBirds heute Abend drauf sein werden. Milo hat da so seine Prinzipien. Er mag sich nicht gerne verkaufen, was natürlich blöd ist – sorry Milo, aber wenn du mal Geld mit der Musik machen willst, musst du dich sowieso verkaufen. Ich glaube, nur ganz, ganz wenige müssen das nicht. Das sind die wahren Glückspilze. Mit denen hat das Leben es gut gemeint. Vielleicht so eine Karma-Sache. Obwohl, nee, jetzt fange ich wieder mit dem Eso-Zeug an! Ich wollte mich doch von den schlechten Einflüssen meiner Mutter lösen!
    Sie fängt an zu kichern und bricht schließlich in Lachen aus. Ich halte drauf und zoome jetzt ihr Gesicht näher ran. Das ist schön. Ich muss selber lächeln. Sie schlägt sich mit den Händen auf die Oberschenkel.
    »Ach, Mann, puh, jetzt weiß ich auch nicht mehr, was ich eigentlich sagen wollte.« Sie presst ihre Lippen zusammen und schüttelt den Kopf.
    »Ist vollkommen schön so. Wir machen hier erst mal einen Cut«, schlage ich vor, schalte die Kamera aus und lege sie auf den Nachttisch.
    Verdammt! Ich habe sie gern. Und ich kann verstehen, warum Milo mit ihr angebandelt hat. Aber wird sie verstehen, warum er mit mir anbandelt? Wohl kaum.
    »Du siehst so nachdenklich aus, den ganzen Tag schon. Ist alles okay?«, fragt sie und löst damit Magenschmerzen bei mir aus.
    »Alles okay.« Meine

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