Der eine Kuss von dir
gerade bin, macht diese Bruchbude ganz romantisch. Wie langweilig wäre es in irgendwelchen auf Hochglanz polierten Hotelzimmern?
Ich werfe meinen Rucksack auf den Boden, doch als ich die Tür schließen will, steht Linda davor und sieht mich mit ihren großen Augen an. Ich erschrecke kurz.
»Können wir jetzt reden?«, fragt sie.
»Ähm … na ja, okay, komm rein.« Ich deute mit der Hand in mein Zimmer.
»Die Jungs streiten jetzt wahrscheinlich schlimm, da will ich nicht dabei sein.« Sie lässt sich auf mein Bett fallen und eine Staubwolke steigt auf, sodass sie husten muss. »Mann, was für ein Palast!«, grinst sie.
Ich setze mich ihr gegenüber auf den Boden und ziehe meine Boots aus, die gerade fürchterlich kneifen, obwohl sie eigentlich schon lange eingelaufen sind. Wahrscheinlich wurden meine Füße in den letzten zwei Tagen durchs Tanzen zusätzlich strapaziert.
Ich bin nervös, weil ich nicht weiß, worüber Linda mit mir sprechen möchte, aber was könnte es sonst sein, wenn nicht die Sache mit Milo und mir?
Wie hat sie es bloß herausgefunden? So lange geht das nun auch wieder nicht.
Ich wäre einerseits erleichtert, ein bisschen, aber andererseits fängt das Versteckspiel mit Milo langsam an, mir Spaß zu machen.
Das ist natürlich ein fieser Gedanke und ich schäme mich sofort dafür. Immerhin geht es hier auch um Lindas Gefühle, die ich allerdings nicht wirklich greifen kann, weil hier alles in der Luft schwebt und keiner so recht weiß, woran er ist.
»Hör zu«, setzt sie an, »wir kennen uns noch nicht lange, aber ich wollte dich fragen, ob es vielleicht möglich wäre, dass ich ab und zu in deinem Zimmer mit übernachte. Ich will dir nicht auf die Nerven fallen und dich nicht bei deiner Arbeit stören, nur, die Jungs sind so … Ach, die stinken und saufen, und Milo ist auch manchmal so launisch, ich weiß nicht.« Sie pustet sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Außerdem, ich glaube wir könnten uns ganz gut verstehen. Was meinst du?«
Jetzt fällt mir ein Stein vom Herzen. Sie weiß nichts von mir und Milo. Aber die Tatsache, dass ich öfter von Linda umgeben sein werde, wird alles noch schwieriger machen. Doch ich kann ihr den Wunsch unmöglich abschlagen.
»Natürlich kannst du bei mir übernachten. Fühl dich wie zu Hause.« Ich strecke meine Hand einladend in die Luft.
Sie kommt auf mich zu und umarmt mich. »Danke. Das ist toll. Ich hatte eh von Anfang an das Gefühl, dass wir uns ganz gut vertragen würden. Du bist die erste weibliche Person seit Langem, die bei den BlackBirds dabei ist und mir nicht auf die Nerven geht.«
Mann, wenn sie hinter die ganze Sache kommt, dann werde ich meines Lebens nicht mehr froh, ich habe sie ja schon wütend erlebt! Aber sie macht einen zufriedenen Eindruck, setzt sich auf den Boden und streckt ihre Beine aus, wackelt mit ihren lackierten Zehen.
Eigentlich glaube ich ja auch, dass wir gut miteinander auskommen könnten. Sie ist total durchgeknallt, ein bisschen extrem, aber im Grunde echt cool und unglaublich nett.
Nur wenn sie wüsste …
Irgendwo, ganz, ganz tief unten fühle ich Wut aufsteigen, auf Milo, dass er mich in so eine unangenehme Situation bringt.
»Kommst du mit deinen Filmarbeiten voran?«, fragt mich Linda und begutachtet ihre Füße. Der knallgrüne Nagellack steht im Kontrast zu den fast schwarzen Fußsohlen. Dabei fällt mir auf, dass sie meistens nur barfuß herumläuft.
»Ja. Ganz gut. Einige Interviews sind richtig toll geworden.« Ich setze mich neben sie und lehne mich an die Bettkante.
»Oh Mann, außer meins, meins war ganz schrecklich. Ist mir voll peinlich. Ich glaube, ich war ziemlich betrunken. Können wir nicht noch ein richtiges machen? Bitte, bitte, bitte.« Sie faltet kichernd ihre Hände und kniet sich neben mich.
»Ja, können wir schon …«
»Jetzt!«
»Jetzt?«, frage ich etwas überrumpelt.
Aber Linda springt schon auf, schaut sich im Zimmer um und fängt an, eine Kulisse zu bauen, indem sie den braunen Velour-Sessel in die Ecke neben das Fenster schiebt, den vegilbten Vorhang wie einen Baldachin über die Lehne spannt und die ausgebleichten Plastikrosen auf den Nachttisch daneben stellt.
»Echt Ost-Rock!«, sagt sie und betrachtet stolz ihr Werk.
Ich muss grinsen und ergebe mich übertrieben seufzend. Ich baue Stativ und Kamera auf, während Linda irgendwelche Yoga-Atemübungen durchprobiert.
»Du bist aber schon ein bisschen Eso, was?« Ich zwinkere ihr zu und ziehe dabei den Deckel
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