Der eine Kuss von dir
Stimme klingt kratzig.
»Wenn was ist und du jemanden zum Reden brauchst, kannst du mit mir quatschen, ehrlich.«
»Danke.« Ich versuche ein Lächeln.
Linda springt vom Sessel auf. »Also gut, ich geh mal schauen, wie weit die Streithähne sind.«
Wir stehen uns kurz gegenüber und sehen uns an.
»Darf ich dich umarmen?«, fragt sie.
»Äh … ja, klar.« Ich mache einen Schritt in ihre Richtung, und sie schließt mich in ihre Arme, drückt mich ganz fest. Ihre Haare kitzeln in meiner Nase. Dann hüpft sie aus dem Zimmer und schlägt die Tür hinter sich zu.
Ich bin erleichtert, dass sie weg ist. Wenigstens kurz. Ich muss nachdenken. Ich muss mit Milo reden. Lange kann das so nicht weitergehen. Ich bin keine gute Lügnerin und ich bin auch nicht gerne eine. Außerdem verdient Linda es nicht, dass sich hinter ihrem Rücken solche Sachen abspielen. Ich wünschte, sie wäre blöd, dann würde ich mir nicht so einen Kopf drum machen. Vielleicht sollte ich die Sache mit Milo einfach vergessen. Ihm sagen, dass alles ein Missverständniss war, dass ich nur so berauscht vom Abend war und dass wir rewind drücken sollten, damit niemand verletzt wird. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, gefällt mir der Gedanke, dass ein paar Zimmer weiter ein Typ sitzt, der mich gut findet, der heimlich mit mir knutschen will. Das macht diese Tour für mich noch mal doppelt aufregend. Ich versuche, mir vorzustellen, was Maja zu der ganzen Sache sagen würde. Sie ist eine große Anhängerin der Frauensolidarität. »Kein Typ ist es wert, dass sich zwei Frauen um ihn streiten«, sagt sie immer, und an sich finde ich das auch. Ich hätte einfach gerne ein wenig mehr Durchblick, was das mit Milo und Linda ist, damit ich mich für eine Seite entscheiden kann.
Ich ziehe mich um, zum Duschen bleibt keine Zeit mehr und zum Schlafen sowieso nicht. Ich schlüpfe aus meiner Jeans und ziehe zur Abwechslung einen Rock an, einen einfachen, schwarzen, dazu eine weiße lockere Hippie-Bluse mit Ornamenten und ein paar silberne Armreifen. Ich wechsele die Bänder in der Kamera und beschrifte die Aufnahmen nach Datum, Ort und Inhalt. Dann stelle ich mich ans Fenster und rauche eine Zigarette.
Ich rauche nicht mehr, nicht richtig, aber eine Schachtel habe ich immer dabei, fürs Gefühl und für die seltenen, heimlichen Augenblicke. Mit Jeffer habe ich dauernd geraucht, bis seine kleine Küche von Rauchschwaden durchzogen war und unsere Augen anfingen zu Tränen. Als er dann weg war, hatte ich irgendwie keine Lust mehr, es war einfach nicht mehr dasselbe.
Vom Flur her ist Bewegung zu hören, Schritte, Stimmen, Türeknallen. Draußen wird das Auto umgeparkt. Ich sehe durch das Fenster, wie Matse und Christian anfangen, die Instrumente aus dem Bus zu räumen.
Ich freue mich insgeheim auf diese Country-Nummer.
Ein bisschen lustig ist das schon. Ich kann mir vorstellen, dass die Jungs sich in ihrer Rockstar-Ehre gekränkt fühlen, verkauft und verraten, und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich so gut über mich selbst lachen könnte, wenn ich an ihrer Stelle wäre.
Doch das gibt mit Sicherheit interessantes Filmmaterial.
Ich gehe zur Tür und schaue hinaus auf den Flur. Milo hockt da, als Einziger, und sortiert in einem kleinen Karton Gitarrensaiten.
»Hey«, sagt er nur, als er mich bemerkt, und strahlt mich an, bevor er sich wieder den Saiten zuwendet.
Ich lehne mich an den Rahmen und sehe ihm zu. Sein Blick ist ganz konzentriert, und ich denke, dass er das wirklich liebt, was er tut. Die Musik. Ich wünsche mir manchmal, dass ich auch endlich etwas finde, für das ich so viel Leidenschaft entwickeln kann, etwas das mich voll und ganz ausfüllt, damit es in meinem Leben keine langweiligen Stunden mehr gibt.
»Willst du reinkommen?«, frage ich.
Milo sieht sich um, lauscht Richtung Treppe, packt den Karton unter den Arm und schlüpft ganz schnell in mein Zimmer. Er legt die Gitarrensaiten auf dem Boden ab und zieht mich zu sich heran. Sein Gesicht kommt meinem ganz nah und ich spüre seinen Atem.
Wir küssen uns. Er streicht über meine Wangen und sieht mich an. »Ich liebe dein Gesicht.«
»Und ich liebe deine Hände!«, erwidere ich.
Er schaut auf seine Hände, skeptisch, von allen Seiten, dann zuckt er mit den Schultern. Ich hake einen meiner Finger durch sein Lederarmband.
»Das?«, fragt er.
Ich nicke.
Er knotet das Bändchen auf und bindet es mir vorsichtig um das Handgelenk.
»Danke, großer Country-Star.« Ich kann es mir einfach nicht
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