Der eine Kuss von dir
eigentlich besser wissen!«, brüllt er mir ins Ohr.
»Scheiß drauf!«
»Waaas?«
»Ich scheiß drauf!«, rufe ich noch lauter.
»Und auch dafür mag ich dich!« Er greift meine Hand und dreht mich einmal im Kreis herum.
Ich kreische vor Vergnügen. Wer hätte vor einer Stunde gedacht, dass das hier so ein Spaß werden könnte? Nach weiteren drei Liedern holen wir uns an der Bar unsere Gratisgetränke ab. Ecki schnauft hinter dem Tresen und kommt kaum hinterher, die Kneipe ist brechend voll und alle wollen saufen, was das Zeug hält. Ich möchte nicht diejenige sein, die nach der ganzen Party hier aufräumen muss. In den dunklen Ecken knutschen ein paar Pärchen miteinander rum, während daneben ein paar einsame Ty pen stehen und sehnsuchtsvolle Spannerblicke auf die Knutschenden werfen. Arme Kerle. Edgar folgt meinem Blick und schüttelt dann resigniert den Kopf. »Wahrscheinlich werde ich auch mal so einer.«
»Quatsch!« Ich zeige ihm den Vogel und ziehe ihn wieder auf die Tanzfläche. Unauffällig schubse ich ihn beim Tanzen gegen eine Frau, die alleine an der Wand lehnt und an einem roten Cocktail nippt. Edgar lächelt entschuldigend. Sie lächelt zurück. Na gut, sie ist mindestens fünfzehn Jahre älter als er, aber so was soll ja manchmal durchaus inspirierend sein … habe ich gehört, oder gelesen, oder in einem Film gesehen. Bevor Edgar sich da rauswinden kann, stehle ich mich schnell davon und tanze zurück zu den anderen. Ich nehme Dan die Kamera wieder ab, was ihn dazu veranlasst, wieder schlapp in seinen Stuhl zurückzusinken. Mann!
»Ruf sie an!«, schreie ich in sein Ohr.
»Wen?« Er guckt mich an, als hätte er keinen blassen Schimmer, wovon ich rede, dabei weiß er es doch genau.
»Ruf sie an, verdammt!« Ich hole aus der Tasche eine Ersatzkassette und wechsle die Tapes aus.
»Ich kann nicht!«, jault Dan und krümmt sich, als hätte er einen Blinddarmdurchbruch.
»Warum nicht?«
»Ich habe ihre Nummer gelöscht!« Er schlägt die Hände vor sein Gesicht, und es würde mich nicht wundern, wenn er gleich anfängt zu heulen. Ich ziehe einen Stuhl heran und setze mich neben ihn. Was soll ich noch sagen? Er hat es wirklich vermasselt. Ich könnte ihn einfach umarmen, aber so weit sind wir beide noch nicht. Er ist zwar nicht der Idiot, für den ich ihn am Anfang gehalten habe, aber für Umarmungen reicht es noch nicht. Etwas halbherzig lege ich meine Hand auf sein Knie und tätschele es. Er sieht mich an, mit einem flehenden Blick, als könnte nur ich ihn erlösen. Als die BlackBirds aka Cash Cover Combo jetzt auch noch eine Ballade anstimmen, werden seine Augen ganz glänzend.
»Ich kannte mal einen, der sagte, man sieht sich immer zwei Mal im Leben«, versuche ich und lasse meine Hand dabei auf seinem Knie liegen.
»Und das glaubst du?« In seinen Augen zeigt sich ein winziger Hoffnungsschimmer.
»Natürlich glaube ich daran! Das Gesetz des Universums sozusagen.«
»Und das passiert einfach so?«
»Natürlich nicht! Man muss sich schon ein bisschen anstrengen!«
Er schaut mich lange nachdenklich an, nickt dann ein paar Mal, der Moment, wo ich endlich meine Hand von seinem Bein nehmen kann, um ihm aufmunternd auf seine Schulter zu klopfen.
»Du hast recht! Völlig. Nur anders, aber egal. Wirklich. Danke.« Er springt auf und verschwindet sofort in der Menge, ich kann nicht mehr ausmachen ob Richtung Bühne oder Bar, die tobende Masse verschluckt ihn sofort.
Ich bin froh, dass es Dan besser geht, dafür ist jetzt meine Stimmung im Keller. Dass man sich im Leben immer zwei Mal sieht, das hatte Jeffer mir in seinem Abschiedsbrief geschrieben. Ich hatte mir diesen Satz mit einem roten Stift unterstrichen, weil ich dachte, dass er dadurch wahr würde. Als ich nach zwei Wochen immer noch nichts von ihm gehört hatte, kam ich auf den Gedanken, dass es vielleicht auch nur so ein Jeffer-Spruch war. Er hatte viele solcher Sprüche auf Lager, besonders wenn etwas ernst oder kompliziert wurde. Dann ließ er so einen Satz fallen und stahl sich unauffällig aus der Situation. Am Anfang fand ich das noch ganz witzig, aber mit der Zeit machte es mich echt wütend.
»Was hast du da am Arm?«, reißt mich Linda aus meinen Gedanken, die wie aus dem Nichts plötzlich neben mir auftaucht.
»Was? … Das?« Ich zupfe am Lederband und muss mich sehr zusammenreißen, damit meine Gesichtszüge nicht entgleisen.
Sie greift nach meinem Handgelenk und dreht es hin und her, dann hält sie sich das Band an
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