Der eine Kuss von dir
einchecken, auf den weichen Betten rumhüpfen, Shoppingkanäle schauen, vom Frühstücksbuffet Sandwiches klauen, die wir später in der Wüste, auf der Motorhaube sitzend, verspeisen, und abends im Casino Hunderte von Dollars aus dem einarmigen Banditen holen, die wir völlig sinnlos für alberne Hüte und Wasserpistolen auf den Kopf hauen.
»Ich möchte, dass du für mich singst«, flüstere ich.
Milo sieht mich fragend an.
»Dann, wenn wir uns in der amerikanischen Einöde niederlassen. In einem kleinen Haus mit Veranda und grün angestrichenen Fensterläden und Schaukelstühlen. Wenn du vom Baumwollpflücken abends nach Hause kommst und ich von meiner Schicht bei Wall Mart. Wir schmeißen eine Pizza in den Ofen, setzen uns auf das Sofa vor den Kamin und dann singst du für mich.«
Milo lächelt und streicht mir über das Haar. »Wie viele Kinder wollen wir kriegen?«
»Hm. Wall Mart und Baumwolle reichen höchstens für zwei.«
»Ich mache Überstunden und bin für drei.« Er fährt mit seiner Nasenspitze über meine Wange.
»Puh. Du weißt schon, dass das eine schmerzvolle Angelegenheit ist?« Ich küsse ihn vorsichtig auf den Hals.
»Hab ich gehört, ja.«
»Euer Mozzarella ist fertig!«, ruft der Barmann und knallt den Teller auf den Tisch.
Wir lösen uns aus unserer Umarmung, setzen uns wieder auf die Hocker und tunken die heißen Sticks in Preiselbeersoße.
Das Konzert und vor allem die anderen, Dan, Edgar, Linda, scheinen so weit weg, als wäre das hier ein ganz anderes Leben. Das Einzige, was zählt, ist das bisschen Zeit mit Milo in dieser schäbigen Kneipe, in der wir nicht besonders willkommen scheinen. Aber auch das ist egal.
Milo teilt den letzten Mozzarellastick in zwei Stücke und gibt mir das größere Ende, dann holt er aus seiner Tasche einen zerknitterten Fünf-Euro-Schein und legt ihn auf den Tresen. »Lass uns hier verschwinden.« Er nickt dem Barmann und den Gästen zu, stößt die Tür schwungvoll auf und lässt mich als Erste durch.
Als wir im Auto sitzen, macht Milo keine Anstalten loszufahren. »Willst du zurück?«
Ich schüttele den Kopf.
Wie fahren also wieder zum See und klettern auf das Autodach. Milo hat zwei Decken hoch gebracht.
»Bist du müde?«, fragt er und legt uns eine Decke um die Schultern, die andere über die Beine.
»Ich weiß nicht. Ich bin hier dauermüde. Aber ich kann jetzt nicht einschlafen.«
Wir legen uns auf den Rücken und schauen zu den Sternen rauf.
»Guck, da ist der kleine Einkaufswagen.« Milo streckt seinen Finger aus und malt ein Quadrat in die Luft.
Ich drehe meinen Kopf zu ihm und schaue mir sein Profil an. Seine Nase hat einen leichten Knick, der mir vorher nicht aufgefallen ist, und auf Höhe der Wangenknochen hat er ein paar kleine runde Narben, wie sie nach Windpocken bleiben, wenn man zu viel gekratzt hat.
»Wir werden natürlich nicht nach Vegas durchbrennen, aber etwas Verrücktes könnten wir schon machen.« Ich kriege plötzlich Herzklopfen beim bloßen Gedanken.
»Zum Beispiel?«, fragt Milo.
»Zum Beispiel … also … genau weiß ich das jetzt nicht, aber … ach, etwas Verrücktes eben!« Ich richte mich auf.
Milo zieht mich am Arm wieder zu sich runter. »Okay, gut. Etwas Verrücktes. Ich lasse mir was einfallen.« Dann nimmt er mein Gesicht in die Hände und küsst mich. Und so vergehen die nächsten Stunden. Knutschend liegen wir auf dem Dach des Tourbusses, während die Sterne auf uns herunterscheinen und die Grillen ein Nachtkonzert für uns geben. Wir fummeln aneinander rum unter der Decke, lassen unsere Hände unter die Klamotten des anderen verschwinden und fahren mit den Fingerspitzen über die Gänsehaut, die unseren Körper immer wieder überzieht. Unsere Beine verschränken sich ineinander, unsere Küsse werden drängender, eigentlich müsste man nichts weiter auf der Welt tun als das hier.
»Ich glaube, die Band wird sich auflösen«, sagt Milo plötzlich in eine Kusspause rein.
Ich stütze meine Ellenbogen auf das Autoblech und lege meinen Kopf in die Hände. »Warum?«
»Es ist nur so ein Gefühl. Wir wollten eigentlich durchstarten, schon länger, aber irgendwie tut sich nichts.«
»Ihr macht doch jetzt diese Tour!«, werfe ich ein, während ich sein Gesicht betrachte.
Milo seufzt. »Ja, diese Tour … Im Ernst, Frieda, wir tuckern durch Brandenburg.«
»Aber man fängt doch irgendwo an.«
»Ja, aber ich habe Bock, die Welt zu sehen!« Seine Augen glänzen.
»Brandenburg ist nicht die Welt«,
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