Der eine Kuss von dir
Füßen, streife die Strickjacke und meine Jeans ab.
»Warte auf mich«, ruft Milo und zieht sich das Shirt über den Kopf.
Noch bevor er mich einholen kann, renne ich in den See rein und kreische, weil das Wasser so kalt ist.
»Psst. Du weckst noch die ganze Nachbarschaft.« Milo nimmt Anlauf und kommt hinterhergerannt.
Es ist so still hier draußen, nur das leichte Plätschern der Wellen. Ich lege mich auf den Rücken, lausche dem Rauschen in meinen Ohren und schließe die Augen. Ich halte den Atem an und zähle die Sekunden, die es dauert, bis Milo endlich bei mir ist. Sieben. Er zieht mich am Fuß nach unten und ich bekomme Wasser in Nase und Mund und muss husten. Schnell tauche ich unter, bis zum Grund, greife mir eine Handvoll Schlamm, den ich nach Milo werfe, sobald ich wieder oben bin. »Nimm das!«
Er braucht einen Moment, um sich zu sammeln, den Schlamm von den Schultern zu wischen, dann wirft er sich ins Wasser und streckt seine Hände nach mir aus. Ich versuche, ihm zu entkommen, schaffe es aber nicht weit, er holt mich ein und tunkt mich unter. Ich befreie mich aus seiner Umklammerung und schwimme zum Strand, lasse mich in den klebrigen Sand fallen. Es ist kalt.
»Los, schnell zum Auto!« Milo kommt aus dem Wasser gerannt und zieht mich am Arm hoch. Zitternd rennen wir zurück zum Bus, unterwegs sammle ich meine Klamotten ein. Milo kramt aus dem Kofferraum Decken und wirft mir eine zu.
Ich wickle mich in die Decke und ziehe mir darunter umständlich die nasse Unterhose und das Shirt aus.
»Du weiß aber schon, dass ich dich bereits nackt gesehen habe?« Er grinst.
»Ja schon, es ist nur … es ist so kalt«, verteidige ich mich und hüpfe auf der Stelle, um wieder warm zu werden.
Er reicht mir meine Jeans und holt ein nicht mehr ganz frisches T-Shirt mit Nirvana-Aufdruck von der Rückbank. »Ist glaube ich Lindas. Was Besseres kann ich leider nicht anbieten. Sorry.«
Ich zögere kurz, ziehe es aber schließlich über, damit das Zittern endlich aufhört. Milo dreht den Zündschlüssel herum und schaltet die Heizung ein. Wir krabbeln in den Bus, schließen die Türen und kuscheln uns aneinader. Die muffige Heizluft dringt geräuschvoll aus dem Armaturenbrett.
»Jetzt bin ich also im Tourbus«, sage ich feierlich und sehe mich um. Überall liegt Müll, auf den Sitzbänken, dem Boden, und auch die Seitenfächer an den Türen quellen über vor Burgerpapier und leeren Plastikflaschen. »Sieht nach einer guten Party aus.«
»Ach, na ja, mal mehr, mal weniger. Ich bin eigentlich immer ganz froh, wenn ich fahren darf. Da hab ich wenigstens eine Beschäftigung und muss nicht mit Nüssen durch den Bus werfen oder vorbeiziehenden Autos Grimassen schneiden.«
»Das würde ich gerne mal aufnehmen«, sage ich und wickle die Decke fester um meinen Körper.
»Das ist total albern und kein bisschen Filmmaterial wert.« Milo spielt nachdenklich an seinem Ring rum.
»Das hört sich abgebrüht an«, stelle ich fest.
»Mag sein. Ich will einfach nur Musik machen.« Er streift den Ring ab und schiebt ihn mir auf den Finger. Ich betrachte ihn eine Weile, drehe ihn hin und her, er ist zu weit, und ziehe ihn dann wieder ab, um ihn Milo in die Hand zu legen. »Komisch, wenn ich dich mit den anderen sehe, sieht es immer so aus, als ob du dich in der Gruppe wohlfühlst.«
»Tue ich ja auch. Trotzdem nerven die manchmal. Ist doch okay.« Er beugt sich zum Seitenfach und durchwühlt die zerknüllten Verpackungen nach Essensresten. »Ich habe echt Hunger. Wie sieht es bei dir aus?«
»Und wie. Nach dem Baden habe ich immer Appetit.«
Milo schält sich aus der Decke und krabbelt umständlich auf den Vordersitz, startet den Wagen und bringt uns wieder auf die Straße. Ich bleibe hinten sitzen, bin von der Heizluft wohlig aufgewärmt und von unserem nächtlichen Bad angenehm erschöpft. Ich sehe durch die Scheibe in die Dunkelheit hinaus, in keinem der vorbeiziehenden Häusern ist noch Licht.
»Ich glaube nicht, dass in einem dieser Käffer hier irgendwas noch aufhat«, gebe ich zu bedenken.
»Aber irgendeine Kneipe wird doch offen haben, wo sie Chicken Wings aus der Mikrowelle servieren.« Milo wirft mir einen Blick durch den Rückspiegel zu.
Ich verziehe das Gesicht und dann schließe ich die Augen, lasse mich vom Brummen des Motors einlullen, fühle mich ausgesprochen wohl. Milo macht Musik an und summt leise mit. Dieses in den Tag hineinleben habe ich bis vor Kurzem nur aus Büchern gekannt oder aus Filmen und
Weitere Kostenlose Bücher