Der eine Kuss von dir
mich immer gefragt, wie sich das wohl anfühlt. Erst im Mai hatte ich dann Jeffer kennengelernt. Er hatte mich an der Hand genommen und mir diese aufregende Welt gezeigt. Auch die BlackBirds habe ich durch ihn kennegelernt. Es war ein ständiges Auf und Ab mit ihm, ein wildes Hin und Her der Gefühle, es gab Tage, da hatte ich die Nase gestrichen voll davon. Diese ganzen Ungewissheiten machten mich verrückt, ich war nur noch damit beschäftigt, mich selbst zu suchen, mich gleich wieder zu verlieren und dann neu zu erfinden. Wie immer habe ich versucht, distanziert zu bleiben, einen kühlen Kopf zu bewahren … und war plötzlich mitten drin in einer Mischung aus Liebe und Chaos und Tränen und Sehnsucht, alles auf einmal. Vielleicht sollte ich Jeffer sogar dankbar sein, dass er plötzlich verschwunden ist, denn ich weiß nicht, wie lange ich das so noch ausgehalten hätte. Und trotzdem fühle ich mich seitdem, als wäre ich süchtig nach diesen Ungewissheiten, als müsste ich jede Gelegenheit ergreifen, die das Leben ein Stück aufregender macht, unvorhersehbarer und immer wieder neu. Auch bei Milo ist das irgendwie so und wahrscheinlich ist es genau das, was mich an ihm so anzieht.
»Ha, genau das Richtige für uns.«
Milo hält vor einer Kneipe mit vergilbten Vorhängen vor den Scheiben und einer ungeheuren Anzahl Kakteen auf dem Fenstersims: Rudis Bierpfütze. Er steigt aus, läuft um den Wagen herum und zieht die Seitentür auf. Ich hüpfe aus dem Van und werfe einen skeptischen Blick auf die Fassade und durch das Fenster der Kneipe.
»Na los!« Milo zieht mich am Arm durch die Tür.
Drinnen steht die Luft. Ein paar einsame bärtige Männer sitzen an der Bar und starren uns an. Es sind immer die gleichen Typen, die man in solchen Kneipen sieht. Es fällt mir schwer, mir Robert in ihrer Mitte vorzustellen.
Milo nickt mit dem Kopf zur Begrüßung, ich lächle höflich und wir setzen uns auf die Hocker neben dem Fenster.
Der Barmann mustert uns ungerührt. »Ausweise?«
»Oh, wir wollen nur was essen.« Milo deutet auf die Karte vor uns, nimmt sie und wirft einen Blick rein. »Mozzarellasticks?«
Ich nicke.
Der Barmann seufzt, grummelt etwas vor sich hin und verschwindet durch eine quietschede Schwingtür in der Küche. Die bärtigen Männer verlieren ihr Interesse an uns und betrachten stattdessen ihre halb leeren Bierkrüge.
Ich schaue mich in aller Ruhe um, rutsche von meinem Hocker und laufe zur Jukebox am anderen Ende des Raums. Diese Dinger fand ich schon als kleines Kind toll. Ich fische etwas Kleingeld aus meiner Jeanstasche und gehe die Songtitel durch, kann schließlich nicht widerstehen und wähle ein Johnny-Cash-Lied. Grinsend komme ich zurück zu unserem Tisch.
»Du machst dich lustig über mich.« Milo droht mit dem Zeigefinger.
»Niemals!« Ich möchte ihn am liebsten küssen, aber nicht wenn die alten Männer dabei zusehen können.
Milo greift nach meiner Hand. »Dann tanz jetzt wenigstens mit mir.«
»Nein.« Ich schüttle energisch den Kopf.
»Doch.« Er springt vom Barhocker und sieht mich erwartungsvoll an.
»Auf keinen Fall!« Ich greife mir wieder die Speisekarte und tue, als wäre ich sehr beschäftigt, aber darüber kann Milo nur lachen. Er nimmt mir die Karte aus der Hand, zieht mich vom Barhocker runter und zu sich heran, wiegt uns beide hin und her.
»Das ist echt unglaublich peinlich.« Ich vergrabe mein knallrotes Gesicht an seiner Brust, höre sein Herz da runter schlagen. Seine Lederjacke riecht nach Second- Hand-Laden. Ich rutsche mit meiner Hand unter die Jacke, schiebe das Shirt darunter hoch und berühre seinen warmen Rücken. Meine Finger fahren über kleine Huckel auf der Haut, Leberflecken, die ich schon gesehen habe, als er nackt in meinem Bett in Brandenburg lag. Ich mag seinen schlaksigen Körper, ich mag es, dass seine Jeans am Hintern ein wenig hängen, sodass immer ein Stück von seinen Shorts zu sehen ist, ich mag die Härchen, die vom Bauchnabel abwärts wachsen und unter dem Jeansknopf verschwinden.
»Wir könnten die Tour abbrechen und durchbrennen«, flüstert Milo mir ins Ohr.
»Las Vegas?«, lache ich und schmiege mich noch enger an ihn ran.
»Ganz egal. Wo immer du hin willst.«
Das wäre doch mal was, aus der brandenburgischen Einöde direkt in die amerikanische Glitzerstadt, mit einem Jungen, den ich gerade mal ein paar Tage kenne. Wenn das nicht aufregend wäre, dann weiß ich auch nicht. Wir würden unter falschen Namen in Motels
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