Der eine Kuss von dir
trete ein.
»Hey«, sage ich leise und schlüpfe aus meinen Schuhen. Linda hat sich auf dem ganzen Bett ausgebreitet, ihre Klamotten liegen verstreut auf dem Boden.
»Wo warst du die ganze Zeit?« Ihre Stimme hört sich heiser an und ihre Augen sind nur halb geöffnet. Sie rollt sich auf dem Bett zur Seite, um mir Platz zu machen.
»Ich war ein bisschen rumlaufen. Musste das Fiepen aus meinen Ohren kriegen«, lüge ich sie schon wieder an.
»Und da läufst du alleine nachts durch die Gegend? Bist du noch ganz dicht?«
»Ich habe mir das Fontane-Denkmal angesehen«, schwindle ich weiter und flüchte ins Bad, um mir die Zähne zu putzen.
Was bin ich bloß für eine miese Lügnerin? Ich traue mich nicht, in den Spiegel zu sehen. Lange wird das nicht mehr gut gehen. Linda ist nicht blöd. Ihr wird aufgefallen sein, dass Milo auch nicht da war. Früher oder später wird sie sich zusammenreimen, was da am Laufen ist, und vor diesem Moment fürchte ich mich jetzt schon. Ich lösche das Badlicht und krabble unter die warme Bettdecke.
»Gute Nacht.« Ich drehe Linda den Rücken zu, um ihr zu signalisieren, dass mir nicht nach Reden ist, aber das ist ihr wohl egal.
»Mann, was für eine Nacht das war«, stöhnt sie und richtet sich im Bett auf.
»Hmhm«, versuche ich, sie abzuwimmeln.
»Da war so ein Typ, total der alte Knacker, und macht mich eklig an, will sich an mich ranschmeißen. Ich dachte, ich spinne. Hat angefangen, an meinen Halsketten rumzufummeln und was von magischen Steinen zu faseln. Und wo sind unsere ganzen Helden in dem Moment? Natürlich nicht da! Milo hat sich aus dem Staub gemacht, Tom und Robert saufen an der Bar, die Techniker kiffen hinterm Haus und ich stehe alleine da mit diesem schmierigen Penner. Irgendwann kam Edgar dann vorbei, auch mit so einer alten Schachtel im Schlepptau, da konnte ich mich aber wenigstens ranhängen, die war dann auch ganz nett …« Sie redet wie ein Wasserfall, die Sonne geht langsam auf, und ich liege mit geschlossenen Augen im Bett und weiß ganz genau, womit ich das verdient habe. Ab und zu nicke ich träge und muss an den Film »Insomnia« denken, in dem ein Polizist in Alaska ermitteln muss, aber wegen der dauernden Helligkeit nicht schlafen kann und langsam verrückt wird. Das wird mir auch passieren, wenn ich hier nicht bald mal einschlafen kann.
»Linda?«
»Ja?«
»Ich muss jetzt wirklich …«
»Oh, klar, nur eins noch: Also, ich glaube Edgar hatte dann noch was mit der Schachtel, sie hieß Katja oder so. Das ist echt verrückt, oder? Nicht, dass sie Katja heißt, aber dass Edgar … ich meine, der ist doch eigentlich nicht so ein Aufreißer, jedenfalls habe ich ihn nicht so kennengelernt, der scheint mir eher so bodenständig und korrekt. Eigentlich total nett, oder?«
Sie wird nicht aufhören, ich weiß es, also atme ich demonstrativ tief und tue, als ob ich ins Land der Träume abdrifte.
»Frieda? Schläfst du? Mist, ich bin jetzt nämlich echt wach. Eigentlich bin ich keine Frühaufsteherin, aber wenn ich erst mal wach bin …« Sie steht auf und geht aufs Klo. Ich höre sie da drin rumpeln, die Spülung betätigen und dann lässt sie Wasser in die Wanne laufen. Das gleich mäßige Rauschen bringt Erlösung, ich ziehe die Decke ein Stück höher und bin dann endlich weg.
Ich träume von Las Vegas. Aber ich bin nicht mit Milo da, sondern mit Edgar und Linda, und um uns herum klingeln die Spielautomaten. Überall drängen sich verkleidete Menschen, in den Gängen, an der Bar, an den Spieltischen. Es ist irgendeine Mottoparty. Ich kann nicht herausfinden, was das Thema ist. Ich halte Ausschau nach Milo und krame in meinen Hosentaschen nach einer Nachricht von ihm, kann sie aber nicht finden. Linda gewinnt beim Pokern eine große Tüte Konfetti. Sie kreischt, reißt die Tüte auf und streut das Konfetti über Edgar und mich. Ich versuche, die Papierstückchen aus meinem Drink zu pulen, und werde angerempelt von einer Frau, die Milo hinter sich herzieht. Ich will was sagen, aber es kommen keine Worte, ich stehe nur mit offenem Mund da.
»Ach die!« Linda winkt ab und schüttelt den Kopf.
»Was ist mit denen?« Ich habe meine Sprache wiedergefunden.
»Milo und diese Tussi, keine Ahnung, die wollen eine Familie gründen oder so. Na ja, den haben wir wohl für immer verloren!« Sie klatscht in die Hände und wendet sich wieder dem Spieltisch zu.
Edgar zuckt mit den Schultern. »Hab ich dir ja gesagt!« Er verschwindet im Gewühl.
Ich stehe wie
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