Der eine Kuss von dir
total überheblich«, seufzt Edgar und sieht mich mit einem strengen Blick an.
»Bin ich nicht! Aber guck doch mal. Ich kriege keine Luft bei dieser ganzen Piefigkeit! Diese doofen Girlanden schon, ich konnte solche Veranstaltungen noch nie leiden. Alle sind irgendwann abartig besoffen und schieben sich Bratwürste rein, bekleckern ihre Bärte mit Senf, machen dreckige Witze und grölen dummes Zeug. Ich weiß nicht, ob ich mir das Konzert heute überhaupt ansehen will. Da kriege ich bestimmt Depressionen von.«
»Mann, reiß dich mal zusammen!« Er verteilt Luftohrfeigen in meine Richtung. »Ist ja echt nicht auszuhalten!«
»Ja, du stehst natürlich wieder voll über den Dingen, nicht wahr?!«
»Ja! Natürlich. Solltest du auch mal versuchen.«
»So … okay?« Ich grinse ihn übertrieben breit an.
Er zuckt mit den Schultern und knabbert kopfschüttelnd an einer Salzstange.
Wir sehen der Band von Weitem dabei zu, wie sie ihr Equipment zur Bühne schleppen. Milo fummelt konzentriert an seinem Verstärker rum und streckt die Zunge ein bisschen dabei raus, weil er sich unbeobachtet glaubt, sonst würde ihm das natürlich nicht passieren.
»Lass uns in den Zoo gehen«, schlägt Edgar vor.
»In den Zoo?«
»Eberswalde ist berühmt für seinen Zoo. Und bevor wir uns hier die Beine in den Bauch stehen …«
Wir lassen uns von einem der Organisationsmenschen den Weg beschreiben und schlendern dann durch Eberswalde zur Bushaltestelle. Dort warten wir gemeinsam mit ein paar Eltern, die versuchen, ihre zappeligen Kinder bei der Stange zu halten. Wir setzen uns auf den Boden.
»Und, wie läuft deine Milo-Eroberung?«, fragt Edgar.
»Es gibt keine Milo-Eroberung!«, wehre ich mich.
»Du lügst, ohne rot zu werden, aber nein … warte … du wirst ja rot.« Er grinst und zeigt mit dem Finger auf mich.
»Hör schon auf!« Ich schubse ihn zur Seite und drehe mein Gesicht von ihm weg.
»Nee, jetzt mal im Ernst, Frieda. Was läuft da zwischen euch beiden?«
Er wird wirklich ernst, und so sehr das mit Milo eine heimliche Nummer sein soll, ich platze fast vor Aufregung. Es würde mich sehr erleichtern, wenn ich mit jemanden darüber reden könnte. Edgar ist der Einzige, der dafür in Frage kommt.
»Ich weiß gar nicht, was da zwischen uns läuft«, gestehe ich. »Gestern hatten wir eine echt unglaubliche Nacht zusammen, mit See und Sternen und Mozzarella-Sticks. Aber heute früh … er hat mich nicht mal richtig angesehen.«
»Das ist nicht gut.« Edgar schüttelt den Kopf. »Ich will nicht wie dein Vater klingen oder so, aber das ist wirklich nicht gut.«
»Aber ich fühle mich gut damit. Okay, ausgerechnet heute nicht, aber so allgemein … es hat etwas Lockeres, weißt du.«
Der Bus biegt um die Ecke, wir erheben uns vom Boden und warten, bis die ganzen Familien drin sind, bevor wir einsteigen und die Plätze ganz hinten besetzen.
»Und warum diese Heimlichkeiten?« Edgar greift das Thema wieder auf.
»Wegen Linda. Ich weiß nicht genau. Milo hat mich um ein bisschen Zeit gebeten. Sie sind nicht zusammen, aber irgendwas ist da. Alles kompliziert. Ach, ist mir auch egal«, seufze ich.
»Wirklich?«
»Nein.«
»Sei mir mal nicht sauer, aber das gibt Probleme.« Er holt aus seinem Rucksack eine Colaflasche, nimmt einen großen Schluck und reicht sie an mich weiter.
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht.« Ich trinke die Cola so hastig, dass ich Schluckauf von der Kohlensäure bekomme.
»Ich kenne dich ja schon eine Weile, Frieda, und du bist nicht der Vielleicht-Typ.« Er nimmt mir die Flasche aus der Hand, schraubt den Deckel drauf und lässt sie im Ruck sack verschwinden, dann holt er eine Tüte Zwiebelringe raus. Jungs ernähren sich echt beschissen.
»Ich bin voll der Vielleicht-Typ!«, gebe ich zurück und greife nach den fettigen Ringen. »Jeffer hat gesagt, mein Lieblingswort wäre VIELLEICHT .«
Wir sehen uns einen Moment erschrocken an. Seit Jeffer weg ist, haben Edgar und ich nicht mehr über ihn gesprochen. Ich glaube, Edgar denkt, er müsse Rücksicht auf mich nehmen. Er hat das damals mitbekommen, wie Jeffer einfach verschwunden ist und wie sehr es mich getroffen hat. Ihn hat es wahrscheinlich auch getroffen, schließlich war Jeffer sein bester Freund gewesen. Ich hätte ihn manchmal gerne nach Jeffer gefragt, aber es ergab sich nie die richtige Situation. Und jetzt ist es auch schon so lange her, dass ich nicht weiß, ob es gut ist, in alten Wunden rumzustochern.
»Ist auch völlig egal,
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