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Der eine Kuss von dir

Der eine Kuss von dir

Titel: Der eine Kuss von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrycja Spychalski
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die Augen. »Geh nach Hause und lass dir von deiner Mutter deutsche Lieder vorsingen!« Und das wäre womöglich noch gegangen, die Typen gucken sich an, ziehen Grimassen und lachen blöd, aber dann schiebt Robert noch ein »Dämlicher Nazi-Arsch!« hinterher.
    Das Lachen bleibt allen im Hals stecken. Der Typ steuert mit verzerrtem Gesicht auf die Bühne zu, beide Hände zu Fäusten geballt, im gleichen Moment rennen Tom, Edgar und Milo los, was wiederum die anderen drei Typen in Bewegung setzt.
    Ich kralle mir meinen Rucksack, bringe meine Kamera in Sicherheit und laufe zum Wurststand, um den Leuten von der Organisation Bescheid zu geben. Ich höre noch die Becken zu Boden krachen, dann ein Aufschrei von Linda, und schon schießen mir Tränen in die Augen. Ich traue mich nicht umzusehen, und als die Organisatoren aufgebracht zur Bühne eilen, fangen meine Knie an zu zittern. Kalter Schweiß tritt mir auf die Stirn. Aber ich muss zurück, kann die Jungs nicht einfach im Stich lassen, ich muss Linda da raushalten, die bestimmt ganz heroisch an vorderster Stelle mitkämpft. Ich atme tief durch und renne zurück. Aber da ist es schon vorbei. Die Typen machen einen Abgang, ich sehe sie noch auf die Straße laufen und wild gestikulieren. Sie grölen rum und einer tritt mit voller Kraft gegen ein Straßenschild, das laut scheppert.
    Milo und Tom sitzen auf dem Rasen und reden aufgeregt mit den Leuten vom Kleingartenverein. Linda und Edgar helfen Robert dabei, sein Schlagzeug abzubauen. Seine Nase blutet. Mehr Schäden scheint es allerdings nicht zu geben. In meinen Ohren rauscht es. Ich setze mich an den Bühnenrand und versuche, einen Gedanken zu fassen. Und dann kriege ich plötzlich Panik, habe das Bild von den Typen vor Augen, wie sie über die Straße rennen, um ihre Kumpels zu holen für eine ordentliche Sommerfestschlägerei. Endlich mal etwas Aufregung in Eberswalde!
    »Fahren wir?«, frage ich Edgar besorgt, und meine Stimme ist zittrig. Reiß dich zusammen, Frieda!
    »Gleich.« Er wirft mir seine Zigarettenschachtel rüber, aber ich will nicht rauchen, mir ist schon schlecht genug.
    Ich fange an, die Kabel aufzurollen und sie säuberlich neben die Verstärker zu legen. Es kann nicht schnell genug gehen. Matse und Christian kümmern sich um das Equipment und schleppen es in den Bus. Milo kommt zu mir rüber. »Na, alles klar?« Er greift hastig nach meiner Hand, drückt sie und lässt sie gleich wieder los.
    »Ich glaube, sie kommen zurück«, krächze ich und blicke an ihm vorbei, denn wenn ich in seine Augen sehen würde, müsste ich ihm um den Hals fallen und würde ihn nicht mehr loslassen.
    »Warum denkst du das?« Er schaut nervös in alle Richtungen.
    »Es ist nur so ein Gefühl. Ich glaube, die holen Verstärkung.« Ich greife nach seiner Gitarre und drücke sie ihm in die Hand. »Lass uns hier verschwinden.«
    »Ja. Scheißtag heute. Ich will mit dir reden.« Seine Augen sehen traurig aus.
    »Später«, sage ich und wende mich ab, dabei treffe ich auf Lindas traurigen Blick. Auch wenn sie nicht mit mir reden will, ich muss es ihr irgendwie erklären.
    Wir packen alles zusammen, so schnell wir können. Ich reiche Robert ein Taschentuch.
    »Was soll ich damit?«
    »Deine Nase blutet. Soll ich mal?« Aber bevor ich etwas machen kann, greift er das Tuch und wischt sich damit sein Gesicht ab. Als ich mich umdrehe, glaube ich ein leises »Danke« zu hören, vielleicht irre ich mich aber auch.
    Die Organisationsleute versuchen Milo zu überreden zu bleiben. Sie sind nicht sauer, es scheint ihnen aufrichtig leidzutun, aber sie verharmlosen die Lage, reden von angetrunkenen Halbstarken, die eigentlich echt in Ordnung sind, wenn man sie erst mal kennt. Da kann ich gut drauf verzichten.
    Ich verkrieche mich in den Opel und krampfe die Finger um mein Handy in der Jackentasche. Ich kann Mama und Papa unmöglich erzählen, dass wir von Nazis bedroht wurden. Sie würden mich auf der Stelle abholen kommen. Aber am liebsten würde ich sie jetzt anrufen, damit sie mich ablenken von diesem verdammt hilflosen Gefühl. Ich bewundere Robert dafür, dass er es einfach gesagt hat, dass er die Dinge laut benannt hat, obwohl er bestimmt wusste, dass er dafür kassieren würde. Ich hätte mich das nicht getraut und das macht mich schrecklick wütend auf mich selbst.
    Ich ziehe das Handy aus der Tasche und wähle Majas Nummer.
    »Na? Was geht?« Ihre Stimme ist heiser.
    »Nichts geht. Wir sind hier in Nazihausen.« Ich wünschte,

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