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Der Einfaltspinsel

Der Einfaltspinsel

Titel: Der Einfaltspinsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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an zu regnen. Donner rumpelte über die bewaldeten Hügel hinter ihm, und ab und zu sah er einen Blitz. Der Regen peitschte immer heftiger, die Blitze kamen immer näher, Wilt holte seinen Anorak heraus und hoffte, das Versprechen seines Herstellers, er sei wasserdicht, träfe zu. Bald darauf überschwemmte der Regen den Boden. Wilt rutschte aus und landete mit einem lauten Platschen im schlammigen Wasser. Durchnässt und elend eilte er noch schneller weiter, wohl wissend, dass die Blitze jetzt sehr nahe waren. Mittlerweile war er in der Nähe der Anhöhe, hinter der er Baumwipfel ausmachte. Wenn er dort war, konnte er sich wenigstens unterstellen. Das dauerte eine halbe Stunde. Inzwischen war er bis auf die Haut durchnässt, er fror, und ihm war äußerst unbehaglich zumute. Außerdem hatte er Hunger, weil er nichts zu Mittag gegessen hatte. Endlich war er im Wald und ließ sich an den Stamm einer alten Eiche sinken. Blitz und Donner zeigten ihm, dass er einem Gewitter noch nie so nah gewesen war, und er hatte schlicht Angst. Er durchwühlte seinen Rucksack und fand die Flasche Scotch, die er für den Notfall mitgenommen hatte. Und in Wilts Augen fiel seine gegenwärtige Lage eindeutig in die Kategorie Notfälle. Den sich verdunkelnden Himmel über ihm machten Wolken noch dunkler, und auch der Wald war düster. Wilt nahm einen Schluck aus der Flasche, fühlte sich besser und genehmigte sich noch einen Schluck. Erst dann kam ihm der Gedanke, dass man bei einem Gewitter nichts Schlimmeres tun konnte, als unter einem Baum Zuflucht zu suchen. Doch das war ihm mittlerweile egal. Er ging auf keinen Fall zurück in die gespenstische Heide mit ihren Sümpfen und überschwemmten Tümpeln.
    Als er noch etliche Schlucke aus der Flasche genommen hatte, überkam ihn ein gewisser Gleichmut. Schließlich musste man mit solchen abrupten Wetterwechseln rechnen, wenn man eine lange Wanderung nach nirgendwo und ohne präzise Planung unternahm. Und das Gewitter wurde schwächer, der Wind ließ allmählich nach. Über ihm peitschten die Äste nicht mehr herum, und Blitz und Donner zogen weiter. Wilt zählte die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Jemand hatte ihm mal erzählt, jede Sekunde stünde für einen Kilometer. Wilt trank noch etwas zur Feier der Tatsache, dass das Zentrum des Unwetters nach dieser Berechnung schon zehn Kilometer weit weg war. Doch es regnete immer noch. Obwohl er unter der Eiche saß, lief ihm der Regen das Gesicht runter. Wilt war es egal. Als schließlich fünfzehn Sekunden zwischen Blitz und Donner vergingen, packte er die Flasche wieder in den Rucksack und rappelte sich auf. Er musste weiter. Er konnte die Nacht nicht im Wald verbringen, und falls doch, würde er sich wahrscheinlich eine Lungenentzündung holen. Erst als es ihm gelang, den Rucksack auf den Rücken zu hieven – was eine ganze Weile dauerte –, und er ein paar Schritte machte, merkte er, wie betrunken er war. Es war nicht sehr vernünftig gewesen, auf leeren Magen puren Whisky zu trinken. Wilt versuchte, die Uhrzeit herauszufinden, doch es war zu dunkel, um das Zifferblatt seiner Uhr zu erkennen. Nach einer halben Stunde, in der er zweimal über Baumstämme gestolpert und gefallen war, setzte er sich wieder und holte die Flasche heraus. Wenn er die Nacht nass bis auf die Haut in irgendeinem gottverlassenen Wald verbringen musste, konnte er sich genauso gut gründlich voll laufen lassen. Plötzlich sah er zu seiner Überraschung linker Hand die Scheinwerfer eines Fahrzeugs durch die Bäume strahlen. Es war zwar ziemlich weit entfernt, aber zumindest ein Beleg dafür, dass da unten die Zivilisation in Form einer Straße existierte. Mittlerweile hatte Wilt die Zivilisation schätzen gelernt. Er steckte die Flasche in seine Anoraktasche und brach wieder auf. Er musste die Straße erreichen und in der Nähe von Menschen sein. Ob er ein Dorf fand, war ihm inzwischen egal. Eine Scheune oder sogar ein Schweinestall wären genauso gut wie ein Bed & Breakfast. Jetzt genügte ihm ein Fleckchen, um sich hinzulegen und zu schlafen, am nächsten Morgen würde er dann weitersehen. Momentan war er dazu nicht in der Lage. Als er nach unten schwankte, stolperte er zwar gegen Bäume und stampfte durch Adlerfarn, kam aber voran. Plötzlich verfing sich sein Fuß in der Wurzel eines Dornbuschs, und er fiel mit dem Kopf voran ins Nichts. Einen Augenblick lang hielt sein Rucksack, der sich in den Dornen verhakte, fast den Sturz auf. Doch Wilt fiel weiter, schlug

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