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Der einsame Baum - Covenant 05

Der einsame Baum - Covenant 05

Titel: Der einsame Baum - Covenant 05 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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hell wie eine Fackel.
    Cail stand bei Covenant und Linden; das Sonnenlicht schimmerte in seinen Augen. Brinn dagegen war nirgends zu sehen. Der Wächter des Einholzbaums hatte die Höhle verlassen, seine Ankündigung, sich nicht einzumischen, konsequent bis zum Extrem gehalten. Oder vielleicht mochte er nicht mitansehen müssen, was mit den Menschen geschah, denen er einmal gedient hatte.
    Der Sonnenschein, der auf den Boden des Schachts herabfiel, rückte nur langsam vorwärts; aber man konnte beobachten, wie er nach und nach von der westlichen Seite aus, wo die Gefährten standen, zur Mitte weiterwanderte. Covenant verschleierte sich das Blickfeld. Die Helligkeit schien zwischen Verwaschenheit und Schärfe zu schwanken, zwischen Hoffnung und Unheil hin und her zu schillern. Niemand sprach. Die Atmosphäre des Schachts ließ die Gefährten still und reglos verharren.
    Übergangslos gelangten hölzerne Spitzen in Sicht, als das Sonnenlicht sie erfaßte. Indem sie über den Köpfen der Freunde glänzten wie ein Geflecht aus Glut, zeigten sich Zweige und Astwerk. Dicke Äste vereinten sich nach unten hin. Im langsamen Abwärtsfließen des Lichts, zu vergleichen mit dem Triefen von erleuchtetem Blut, vereinigten sich sämtliche Äste; und man sah den Stamm des Einholzbaums auf seinen Wurzeln im Boden des Schachts stehen. Vor einem Hintergrund aus Schatten deutlich und in klaren Umrissen erhellt, stand der Baum vor den Gefährten wie der Urahn von allem Holz der Welt.
    Offenbar war er von enormer Größe. Der Schacht erweiterte sich unten tatsächlich, bildete für den Baum eine Kaverne von den Ausmaßen einer riesigen Tropfsteinhöhle. Aufgrund der Dunkelheit, die die Wand an der anderen Seite verbarg, konzentrierte sich alle Helligkeit auf die Mitte des Schachtbodens, so daß der Baum mit jeder Länge, jeder Gabelung seiner sonnenbeschienenen Glieder den Hohlraum vollständig beherrschte. Einsam, gewaltig und steinalt war er, gehüllt in dicke, knorrige Rinde, einem Überzug des Alters gleich und unglaublich machtvoll.
    Doch er hatte keine Blätter. Vielleicht war er immer ohne Blätter gewesen. Auf dem kahlen Stein unter ihm gab es keine Spur von Moder oder Ablagerungen, wie sie von altem Laub zurückbleiben mochten. Jeder Zweig und Ast des Einholzbaums war gänzlich kahl, von keinerlei Grün geschmückt. Das Astwerk hätte tot gewirkt, wäre es nicht vom Sonnenschein mit solchem Eindruck von Lebendigkeit versehen worden. Die wuchtigen Wurzeln des Baums hatten sich mit gewaltiger Kraft in den harten Untergrund gebohrt, den Felsboden zum Bersten gebracht und in unregelmäßige Brocken zerbrochen, von seinen Wurzelstrünken mit der Innigkeit von Liebhabern umschlungen. Es hatte den Anschein, als bezöge der Baum seine Kraft, sein laubfreies Beharrungsvermögen aus einem unterirdischen Quell, der so glutvoll war wie Lava und so unerschütterlich fest wie Erdgestein.
    Für einen ausgedehnten Moment standen Covenant und seine Begleiter nur da und starrten den Baum an. Covenant bezweifelte, ob er sich wieder würde rühren können. Zu nah war er jetzt dem einen Ziel, das er während der ganzen langen Fahrt über die Weite der Meere herbeigesehnt und gleichzeitig verabscheut hatte. Trotz seiner mit Licht gesäumten Faktizität erweckte der Baum irgendwie einen unwirklichen Eindruck, als müßte er sich, sobald Covenant ihn anrührte, zu Trug und Wahnsinn verflüchtigen.
    Doch die Sonne beschrieb weiter ihre Bahn über den Himmel. Ihre Helligkeit durchquerte den Grund des Schachts bedrohlich zügig. Der Einholzbaum lag nun vollständig in ihrem Schein, der bald die östliche Felswand erreichen mußte; dann würde der Baum wieder verdunkelt sein. Schon fiel erneuter Schatten auf die Gruppe der Gefährten. Vielleicht hörte der Baum zu existieren auf, wenn kein Sonnenschein mehr auf seinen Ästen glänzte. Plötzlich befürchtete Covenant, zuwenig Zeit zu haben.
    »Wohlan, Riesenfreund«, flüsterte die Erste. »Nun muß es getan sein!« Ehrfurcht machte ihren Ton schwerfällig. »Solange die Helligkeit währt.«
    »Ja.« Covenants Stimme erstickte ihm in der Kehle, drang mit einem Räuspern hervor. Seine eigene Absicht flößte ihm Entsetzen ein. Linden war die erste Frau, die er, seit die Prüfung seiner Krankheit über ihn gekommen war, kennengelernt hatte, die die Fähigkeit besaß, ihn zu lieben. Sie jetzt verlieren zu müssen ...! Hoffnung und Unheil , hatte jedoch Brinn gesagt. Zu tragen, was getragen werden muß! Er

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