Der Einsatz
geglückte Flucht wirkte wie ein starkes Schlafmittel auf ihn. Er schlief den tiefen Schlaf des verurteilten Gefangenen, der unerwartet freigekommen war.
Das Flugzeug, in dem Harry Pappas und Adrian Winkler saßen, landete in einer abgelegenen Ecke des Flughafens von Aschgabat, weit entfernt vom offiziellen Flugverkehr. Auf dem Rollfeld vor der Gangway erwartete sie ein örtlicher Sicherheitsbeamter in Zivil mit einem blaugrauen Mercedes. Er grüßte steif, als die beiden Agenten aus dem Flugzeug stiegen, und führte sie dann zum Wagen, wo er sich vorne neben den Fahrer setzte und Harry und Adrian die Rückbank überließ. Der Mercedes rollte lautlos vom Flugplatz, ohne sich lange mit dem Zoll, der Passkontrolle oder der Aschgabater VI P-Lounge aufzuhalten.
Es war früh am Morgen, die Landeshauptstadt erwachte gerade erst zum Leben. Sie machte den Eindruck, als hätte man sie quasi über Nacht aus dem Boden gestampft. Der neuere Teil sah aus wie eine Spielzeugstadt und schien nur aus weißen Marmorpalästen, repräsentativen Regierungsgebäuden und luxuriösen Wohnhäusern zu bestehen. Die Gebäude wirkten stattlich und hochwertig und waren stilistisch in einer Art türkischem Neoklassizismus mit vielen prächtigen Säulen und goldenen Kuppeln errichtet. Sie strahlten genau die Beständigkeit aus, die sich ein Nomadenvolk, das gerade festgestellt hat, dass es den fünftgrößten Gasvorrat weltweit sein Eigen nennt und im Grunde alles bauen kann, was es nur will, von seiner Hauptstadt eben wünscht.
Der frühere Staatschef, der sich in aller Bescheidenheit als
Turkmenbaschi
, «Führer aller Turkmenen», zu bezeichnen pflegte, hatte praktisch jedes dieser ehrwürdigen Bauwerke nach sich benannt. Sogar ein Denkmal hatte er sich setzen lassen: eine goldene Statue auf einer gewaltigen Säule mitten im Zentrum der Stadt. Die Statue verfügte über einen eingebauten Motor, sodass der
Baschi
sich tagsüber stets nach der Sonne drehte.
«Ist das auch alles echt hier?», fragte Harry. «Das sieht ja aus wie die türkische Version von Disneyland.»
«Das darfst du mich nicht fragen, alter Junge. Ich war auch noch nie hier. Und werde wohl auch nicht so schnell wieder herkommen.»
«Es ist so hässlich, dass es fast schon wieder schön ist.»
«Psst», machte Adrian und deutete mit dem Kopf auf den Sicherheitsbeamten auf dem Beifahrersitz. «Denk dran, wir sind nur Gäste im Haus des
Baschi
.»
Der blaugraue Mercedes trug sie in südlicher Richtung durch die Hauptstadt, vorbei an exzentrischen Gebäuden, die den Vorlieben des einstigen Machthabers entsprungen schienen: dem Repräsentationsgebäude des staatlichen Journalistenverbands beispielsweise, dessen Fassade aussah wie ein aufgeschlagenes Buch, oder dem Gesundheitsministerium, einem Hochhaus, das dem Äskulapstab nachempfunden war. Dahinter erstreckte sich in der Ferne die Gipfelkette des Gebirges, das sich fast unvermittelt aus der Hochebene erhob. Der Mercedes passierte das Präsidenten-Hotel, das den Gästen des
Baschi
vorbehalten war, gleich darauf den Präsidentenpalast und erreichte nach weiteren anderthalb Kilometern eine abgezäunte Villa. Der Pförtner wechselteein paar Worte mit dem Sicherheitsbeamten auf dem Beifahrersitz, dann hob sich die Schranke. Als sie sich dem weißen Marmorhaus näherten, öffnete sich auch die Haustür. Jede einzelne Etappe dieser Fahrt schien wie von unsichtbarer Hand gelenkt zu werden.
«Das soll ein sicheres Haus sein?» Harry musterte das prachtvolle Bauwerk. «Fehlt eigentlich nur noch die Leuchtreklame.»
«Wir sind hier in einem Polizeistaat, Harry, da ist alles sicher. Hier ist sogar das Bruttoinlandsprodukt ein Staatsgeheimnis. Wenn die uns sagen, das Haus ist sicher, dann ist es das auch.»
«Hast du die Audioanlage installieren lassen?»
«Meine Leute haben sich um alles gekümmert. Alles, was du mit ihm redest, wird direkt per Satellit nach London übertragen. Wir brauchen uns also nicht mal Sorgen zu machen, dass wir hier Spuren hinterlassen.»
«Habt ihr auch für genügend Gegenobservationsmaßnahmen gesorgt?»
«Soweit es ging. Wir haben zwar keinen schalldichten Raum, aber immerhin weißes Rauschen. Es wird alles gutgehen. Die Leute hier verraten uns nicht an Teheran. Die haben selbst zu viel zu verlieren.»
Harry schüttelte skeptisch den Kopf, doch es war bereits zu spät, noch Zweifel über solche Einzelheiten anzumelden. Zum wiederholten Mal beschlich ihn das Gefühl, dass Adrian Risiken einging,
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