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Der Einsatz

Der Einsatz

Titel: Der Einsatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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sowie den blinden Passagierüber die Grenze in den Iran und anschließend in einer dreistündigen Fahrt über die Hauptstraße bis nach Maschhad zu bringen. Dort würde er warten, um sie dann, nach getaner Arbeit, wieder zurückzubringen. Die Einreise war noch die leichteste Übung, das war ihnen allen klar. Der ganze Einsatz stand und fiel mit Karim Molavis Kontakt zu seinem Freund Reza.
     
    Alle anderen waren längst auf den Beinen, als der junge iranische Wissenschaftler endlich aufstand. Seine Augen waren strahlend klar, die Anspannung vom Tag zuvor war vollständig verschwunden, und sein ganzes Gesicht wirkte so sanft und schimmernd wie Honig in einem Glasgefäß. Zum Frühstück wünschte er sich Wurst, Käse und Roggenbrot, so wie früher in Heidelberg. Diese deutschen Speisen hatten für ihn einen ganz speziellen Geschmack von Freiheit.
    Harry kam zu ihm, als das Frühstücksgeschirr gerade abgeräumt wurde. Es war Zeit für sein Gespräch mit Karim. Von der zerbrechlichen Beziehung zwischen ihnen hing der Erfolg der ganzen Mission ab.
    «Ich brauche Ihre Hilfe», begann er.
    «Natürlich, Sir. Ich habe Ihnen doch gestern schon gesagt, dass ich Ihnen auf jeden Fall helfen werde.»
    «Das weiß ich, aber heute ist ein neuer Tag, und die Sache ist jetzt sehr viel komplizierter. Ich habe einen Plan. Es ist ein ungeheuer wichtiges Vorhaben, nicht nur für Sie und für mich, sondern womöglich für die ganze Welt. Und trotzdem kann ich verstehen, wenn Sie nein sagen.»
    «Was immer es ist», sagte Molavi, «ich bin bereit dazu.»
    Harry war gerührt von diesem unbeirrbaren Mut. Der Junge wusste doch noch gar nicht, worum es eigentlich ging. Und Harry hatte nicht die Zeit, es ihm schonend beizubringen.
    «Es ist aber gefährlich. Sie müssten in den Iran zurück.»
    Karim wandte den Blick ab. Das war das Einzige, wozu er nicht bereit war. Nach kurzer Zeit sah er Harry wieder an.
    «Wenn ich zurückgehe, wird man mich töten. Ich bin doch jetzt   … wie nennen Sie das?   … ein ‹Staatsfeind›. Ich war so froh, von dort wegzukommen. Sie verlangen sehr viel von mir.»
    «Das ist mir klar. Und ich würde Sie auch niemals darum bitten, wenn es nicht so wichtig wäre. Aber es ist das Allerwichtigste überhaupt.»
    «Es geht um Maschhad, stimmt’s?»
    «Sie sind zu klug, als dass man vor Ihnen etwas verbergen könnte. Ja, Sie haben recht. Es geht um Maschhad. Es geht darum, die Reserveausrüstung dort zu sabotieren, damit es keine weiteren Forschungsmöglichkeiten mehr gibt.»
    Karim sah Harry unverwandt an. Er war noch so jung, wusste so wenig von der Welt.
    «Was raten Sie mir? Was soll ich tun? Ich bin mir unsicher. Was ist das Richtige?»
    Nun wandte Harry den Blick ab. Eine schlimmere Frage hätte der junge Iraner ihm gar nicht stellen können. Es war ihm unerträglich, und doch wusste er genau, was er antworten musste. Seine lange Berufserfahrung sagte ihm, was den jungen Mann überzeugen würde. Harry wurde flau im Magen, als er sich bewusstmachte, was er da im Begriff war zu tun. Sein Kopf schmerzte. Es genügte nicht, einfach nurselbst seine Aufgabe zu erfüllen – man musste immer auch andere mit ins Unglück stürzen. Man musste sie dazu bringen, etwas Bestimmtes zu tun, obwohl Verstand und Herz genau wussten, dass man ihnen eigentlich davon abraten sollte. Die Worte lagen ihm schon auf der Zunge. Dass er so genau wusste, wie er den Jungen manipulieren konnte, machte es auch nicht besser.
    «Was würde Ihr Vater Ihnen raten?», sagte er leise. «Danach sollten Sie Ihre Entscheidung treffen.»
    Karim zuckte unter seinen Worten zusammen. Er senkte den Kopf, vergrub das Gesicht in den Händen, und als er Harry wieder ansah, glänzte es feucht in seinen Augen. Er wischte sich die Tränen weg.
    «Mein Vater würde mir raten zurückzugehen. Er würde mir sagen, dass ich meine Pflicht tun muss. Er war ein tapferer Mann. In jeder Lebenslage.»
    Harry biss sich auf die Lippen. Es würde klappen. Er würde den Jungen dazu bringen, diesen Drahtseilakt zu wagen.
    «Ihr Vater wäre stolz auf Sie», sagte er, und seine Stimme zitterte dabei. «Es würde ihm beweisen, dass Sie wahrhaftig sein Sohn sind.»
     
    Harry entschuldigte sich und gab vor, auf die Toilette zu müssen. Er verschloss die Tür hinter sich, setzte sich auf den Toilettendeckel und wartete ab, bis seine Hände nicht mehr zitterten. Er hatte es schon wieder getan. Das Allerschlimmste überhaupt, das Einzige, wofür es keinerlei Entschuldigung gab

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